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Zerebralen, Sensorischen und Korporalen Licht in der Bildkunst

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Zerebralen, Sensorischen und Korporalen Licht in der Bildkunst

Johann Vieregg (1884-1923)
2012, oil on canvas, 25×19 cm

Zerebralen, Sensorischen und Korporalen Licht in der Bildkunst

Johann Vieregg (1884-1923)


Zerebralen, Sensorischen und Korporalen Licht in der Bildkunst

BIBLIOGRAPHIES

 

 

Hartmut Böhme
Das reflexive Bild: Licht, Evidenz und Reflexion in der Bildkunst (Teil 1)*

Einleitung

Zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert entsteht ein neuer Typ bildimmanenter Selbstreflexivität, der den Sakralbildern davor fehlt. Die Malerei entwickelte ästhetische Mittel zur Transparentmachung des Bildstatus, welche die Kontingenz des Sehens beherrschbar machten. Evidenz, so suggestiv sie sein mag, ist fortan daran gebunden, daß die visuellen Strategien, die Bilder zur Evidenzerzeugung entwickeln, sich weder auf die Präsenz des Heiligen im Bild noch auf eine Unmittelbarkeit des Sehens berufen können, sondern die malerischen wie perzeptiven Voraussetzungen von Evidenzerfahrungen selbst ins Bild zu bringen verstehen. Dabei entsteht allerdings das Simulations-/ Dissimulationsproblem, das sich auch in anderen kulturellen Sektoren zeigt und geradezu epochentypisch ist: etwa in der Wissenschaft, die bei ihrer Umstellung auf das Prinzip der Autopsie (etwa in der Anatomie, der Botanik oder der Tele- und Mikroskopie) mit den Schwierigkeiten der Täuschungsanfälligkeit visueller Befunde ringt; oder im höfischen Verhalten, dessen Erscheinungsbild über Motive und Absichten nicht ohne weiteres Auskunft gibt, weil diese verheimlicht oder als falsche Spuren angelegt werden.[1] Die Malerei lernt, mit Simulation und Dissimulation zu spielen, was für Produzenten wie Rezipienten gleichermaßen reflexivitätssteigernd wirkt: durchweg flimmern die Bildern zwischen dem Pol, daß sie sich als Bilder zeigen, und dem anderen Pol, daß sie 'etwas' zeigen - so daß wir, indem wir 'etwas' in äußerster Evidenz zu erkennen glauben, zugleich erfahren, daß wir 'nichts als ein Bild sehen'.

Dadurch entstehen neue Formen von Indexikalität und Deixis in der Malerei. Die dargestellten Dinge werden mit einer neuen Virtuosität zu einer nie zuvor möglichen, selbstleuchtenden Evidenz gesteigert, bei der Natur und Kunst zusammenzufallen scheinen. Doch diese Evidenz konvergiert eigenartig mit einer Erfahrung des Entzugs und des Undarstellbaren, in deren Fluchtlinie der Tod steht. Darum kann im Stillleben, wo die Selbstevidenz der Dinge zum Äußersten getrieben wird, diese Evidenz immer auch als bloß getäuschte erscheinen. Tod und Leere ziehen in den Bildraum ein, nicht nur als Figur und Emblem, sondern vielmehr wie ein Sog, der an der Präsenz der Dinge zerrt und diese gleichsam evakuiert.

Schema des Geistes, aus: Robert Fludd: Utriusque cosmi maioris scilicet et minores metaphysica, physica atque technica historia. Oppenheim: Hieronymus Galle, 1617.

Abb. 1. Schema des Geistes, aus: Robert Fludd: Utriusque cosmi maioris scilicet et minores metaphysica, physica atque technica historia. Oppenheim: Hieronymus Galle, 1617.

Die Reflexivität ergreift sowohl die kognitiven wie perzeptiven Voraussetzungen, welche den Akten der Darstellung, den Bildakten also, wie den Wahrnehmungsakten vorausgehen und doch in die Gegenwart des Bildes integriert werden sollen. Dadurch entsteht eine neue Performativität: sowohl der pikturalen Poiesis des Künstlers wie der visuellen Erfahrung des Rezipienten. Die Darstellungsebene des Bildes wird reflexiv durchdrungen. Seit van Eyck ist eine ungeheure Evidenzsteigerung hinsichtlich der Erfassung der Dinglichkeit der Dinge zu beobachten, während zugleich eben diese Dinglichkeit in ihrem ontologischen wie ästhetischen Status eigentümlich ungewiß zu werden droht. Bilder geben sich zunehmend als Erfindung und Konstruktion zu erkennen, wie schon Svetlana Alpers, Hans Belting / Christiane Kruse und Hans Holländer eindrucksvoll gezeigt haben.[2] Gerade dadurch werden sie zu Medien der Erkenntnis, sie nehmen am Prozeß der Wissensfenerierung teil[3] oder rekurrieren selbst auf wissenschaftliche Verfahren.[4] Die Bilder werden durch Ihre Selbstprobiematlsierung "selbstbewußt , wie Victor I. Stoichita diesen "Ursprung der Metamalerei"[5] bezeichnet hat. Besonders diese Studie, der viele Einsichten zu danken sind, möchten die folgenden Ausführungen ergänzen.

Mittelalterliche Kosmologie, aus: Hartmann Schedel: Weltchronik. Nachdruck der kolorierten Gesamtausgabe von 1493.

Abb. 2. Mittelalterliche Kosmologie, aus: Hartmann Schedel: Weltchronik. Nachdruck der kolorierten Gesamtausgabe von 1493.

Als erstes behandle ich das berühmte Schema von Robert Fludd über die Kognition und die Interaktion zwischen Sinnen und zerebralem Apparat. Damit wird die Fragestellung eröffnet. Es werden dann weitere Fragen untersucht: Woher kommt das Licht der Erkenntnis? Von innen oder von außen? Ahmt Kunst die 'Welt im Augenschein' nach oder ist sie eine Technik der Sichtbarmachung? Ist dasjenige, was sinnlich zu Tage liegt, die durch Sinnesevidenz stabilisierte Wahrheit oder gerade die Täuschung? Welche Bedeutung hat, schon in der Frühneuzeit, die Instrumentierung des Sehens? Sind Licht und die auffällig vielen, in Gemälden inszenierten optischen Phänomene auch als Metaphern für die bild immanente Reflexivität zu verstehen, wie sie seit van Eyck in die Gemälde einzieht?


Kognitives und technisches Licht

Das Schema Robert Fludds (Abb. 1) resümiert das mittelalterliche und frühneuzeitliche Wissen über die sensorisch-intellektuelle Topographie des Geistes, also dessen, was heute Kognitionswissenschaften und Hirnforschung untersuchen. Die Felder menschlichen Bewußtseins bezeichnen hierbei das höhere Potential der Intelligenz, das Teilhaben des Menschen an der archetypischen Welt des Geistes. Es ist zugleich ein Schema, das die Frage aufwirft, inwieweit der gesamte äußere Kosmos eine Konstruktion der interioren Erkenntnisvermögen ist, oder umgekehrt diese in einem objektiven Vermittlungszusammenhang so stehen, daß der innere Kosmos eine angemessene und somit auch evidente Repräsentation des äußeren Kosmos darstellt. Links erkennt man den Mundus sensibilis, der aus den Sphären der vier Elemente gebildet ist. Interessant ist, daß nicht das fünfte Element, der Äther, der seit Aristoteles durchgängig das feinststoffliche Licht repräsentiert, hinzugezählt, sondern das Feuer mit dem Licht gleichgesetzt wird (Lux Seu Ignis). Die Luft wiederum erscheint doppelt als grobe und feine Luft, wie das im Mittelalter, etwa bei Hildegard von Bingen, öfters geschieht, um die erdnahen, unreinen von den himmelsnäheren Luftschichten zu unterscheiden. Durch diese Aufspaltung in zwei Typen der Luft wird die Zahl der Elemente auf die Zahl der Sinne abgestimmt.

Francesco Curti: Frontispiz zu Giovanni Battista Riccioli: Almagestum Novum. Bologna: Victorius Benatius, 1651.

Abb. 3. Francesco Curti: Frontispiz zu Giovanni Battista Riccioli: Almagestum Novum. Bologna: Victorius Benatius, 1651.

Vom Mundus sensibilis führen gestrichelte Linien zu den fünf Sinnen. Für den Tactus ist die Hand die Metonymie des aktiven Tastens (die rezeptive und propriozeptive Haut erscheint nicht) und der Erde zugeordnet. Der Gustus ist dem Wasser, der Odoratus der gröberen, der Auditus der feineren Luft, der Visus dem Licht als Korrespondenten beigesellt. Im Stirnhirn, als vorderer der drei klassischen Kammern, überlappen sich zwei Kreise: die Sensitiva und Imaginativa, die zusammen den ersten Seelen teil bilden: Hic Anima est.

Die Brücke zwischen Mundus sensibilis und Stirn bedeutet: aus den (äußeren) vier bzw. fünf Weltelementen oder aus den Elementardaten der fünf Sinne werden eben die Sensitiva und Imaginativa gebildet. Diese aus Einbildungskraft und sensorischer Wahrnehmung gebildete (interiore) Welt nennt Fludd: Mundus imaginabilis, aus gestrichelten Kreisen oberhalb des Mundus sensibilis gezeichnet. Hier wird den Elementen jeweils Vmbra vorangestellt: Die interiore Welt ist eine Welt aus virtuellen, nicht-materiellen Elementen. Die sensorisch-materiale Welt und die imaginative Welt entsprechen sich wie Licht und Schatten. Vom Doppelkreis der Sensitiva und Imaginativa schlängelt sich Vermis (der Wurm als Metapher für Hirnwindungen) zu einem weiteren, sich überlappenden Doppelkreis (dem zweiten Seelenteil), gebildet aus Cogitativa und AEstimativa. über ihnen erhebt sich ein Dreikreis aus Ratio, Intellectus und Mens. In diesem Teil werden die über die Sinne und Imaginationen eingespielten Daten 'bedacht' und 'bewertet', auf drei mentalen Stufen: Erkennen dessen, was ist; reflektieren dessen, was es bedeutet; relationieren bezüglich der transzendenten Welt, dem Mundus intellectualis. Dieser ist eine Welt aus Strahlkränzen, eine Welt des Lichtes. Durch die Schärfe der geistigen Verarbeitungen gewinnt die Seele Zugang zur intellektuellen, metaphysischen Welt, die hier, in einem kognitivistisch angelegten Bild, etwas für uns Historisches gewinnt: es ist die christliche Welt der Trinität mit ihren Mächten und ihrem Hofstaat. Vom Dreikreis der geistigen Verarbeitungen führt eine Straße in den Hinterkopf, wo die Memorativa und Motiva, als drittem Seelenteil, situiert werden. Sie bilden den Mundus sensibilis noch einmal, nun' als Überlappung zwischen Custos, Memoria und Visionum, deren jeweilige Überschneidung die intellektuale, imaginative und sensitive Welt bilden, gespeist aus Erinnerungen und Motiven. Zu den Motiva führt zusätzlich eine Straße in den Körperbereich: die Antriebe sind nämlich über das Rückenmark in den für das Gehirn äußeren Teilen, also im Leib fundiert.

Jacob van der Heyden, 1573-1645?: Frontispiz zu: Salomon de Caus: Von gewaltsamen Bewegungen. Beschreibungen etlicher, so wol nützlicher alß lustiger Maschinen. Frankfurt: Abraham Pacquart, 1615.

Abb. 4. Jacob van der Heyden, 1573-1645?: Frontispiz zu: Salomon de Caus: Von gewaltsamen Bewegungen. Beschreibungen etlicher, so wol nützlicher alß lustiger Maschinen. Frankfurt: Abraham Pacquart, 1615.

So läßt sich resümieren: Es gibt zwei Quellen des Lichtes: den Mundus sensibilis und die göttliche Sphäre des Mundus intellectualis. Man könnte sie auch lumen naturale und lumen spirituale nennen. Alle zerebralen, sensorischen und korporalen Aktivitäten (sensitiva, imaginativa, cogitativa, aestimativa, memorativa und motiva) stehen zu diesen Quellen des Lichts in Vermittlung. Die vielfache Vermittlung der sinnlichen Welt gilt für sie nicht nur im Ganzen, insofern sie, aus fünf Sinnen gebildet, ein Kreis ist, sondern jeder Sinn breitet sich über alle 'Straßen' und 'Kreise' in Fludds Schema aus. Das gilt ebenso für die göttliche Welt wie für die körperlichen Antriebe. Es gibt keine unmittelbare Evidenz, sondern diese wird durch ein komplexes Zusammenwirken von insgesamt zwölf (!) interioren Verarbeitungspotenzen hergestellt. Das Ich, oder das Bewußtsein bzw. das Cogito, wie es Descartes oder Kant fassen, bildet nirgends einen 'Kern', gleichsam die Kernidentität des Menschen, sondern es ist gewissermaßen über alle zerebralen, sensorischen und korporalen Vermögen verstreut. Es hat keinen besonderen Sitz irgendwo im Gehirn, wie es Descartes annahm (Zirbeldrüse). Das entspricht den neurowissenschaftlichen Auffassungen über die Delokalisierung des Ichs oder etwa des Gedächtnisses, während spezifische Vermögen auch heute noch topographisch lokalisiert werden. Fludd geht anfangs des 16. Jahrhunderts durchaus in diese Richtung.

Giulio Parigi: Archimedischer Spiegel im Kriegseinsatz bei der Belagerung von Syrakus, 1599/1600, Wandfresko, urspr. Stanzino delle Matematiche, jetzt Florenz, Uffizien.

Abb. 5. Giulio Parigi: Archimedischer Spiegel im Kriegseinsatz bei der Belagerung von Syrakus, 1599/1600, Wandfresko, urspr. Stanzino delle Matematiche, jetzt Florenz, Uffizien.

Völlig anders organisiert ist das noch ganz mittelalterliche Kosmos- Schema in der Schedelschen Weltchronik von 1493 (Abb. 2). Der ptolemäisch-aristotelische Sphärenkosmos ist ins christliche Empyreum eingebettet. Vom thronenden Gott an der Spitze seines himmlischen Hofstaates geht eine lükkenlose Hierarchie aus, die über das Primum Mobile, den Fixsternhimmel, die Planeten- und Elementensphären bis hinunter auf die Erde als tiefstem und dunkelstem Punkt der Schöpfung ausgeübt wird. Die vier aristotelischen Hauptwinde in den Zwickeln repräsentieren die kosmischen Energien. Im Gegensatz zu Fludd ist dies eine Welt im objektiven Licht göttlicher Herrschaft und nicht etwa ist, wie bei Fludd, der Mundus eine Bildung komplexer mental-kognitiver Operationen. Die Evidenz des Schedelschen Kosmos-Schemas beruht auf dem visuellen Wiedererkennungswert des vorgängigen Wissens um die theologische Ordnung der Welt.

Athanasius Kircher: Der Brennspiegel des Archimedes, in: Ders.: Ars Magna Lucis Et Umbra. Rom 1646. 2. Aufl. Amsterdam: Janssonium & Weyerstraet 1671.

Abb. 6. Athanasius Kircher: Der Brennspiegel des Archimedes, in: Ders.: Ars Magna Lucis Et Umbra. Rom 1646. 2. Aufl. Amsterdam: Janssonium & Weyerstraet 1671, 764.

Anderthalb Jahrhunderte später - auf dem von Francesco Curti (1603- 1670) gestochenen Frontispiz des Almagestum Novum (1651) des jesuitischen Barockscholastikers und Astronomen Giovanni Battista Riccioli (1598-1671) - ist der Weltbau nicht mehr durch selbstevidente Heilsgewissheit gesichert, sondern bereits Gegenstand konkurrierender Diskurse, die bis in die Bildgestaltung hinein sichtbar werden (Abb. 3). Ricciolis Kompendium ist eine Hauptquelle des kosmologischen Wissens ausgerechnet des Protestanten und Vakuum-Forschers Otto von Guericke. Evangelista Torricelli hingegen, der auf Anregung von Galilei die ersten Vakuum-Experimente unternahm, zeigte sich, in sensibler Wahrnehmung der antikopernikanischen Bildrhetorik des verabgedruckten Frontispiz, regelrecht geschockt.[6] Curti gestaltet ein höchst spannungsreiches Zusammenspiel von 'innerem', 'äußerem' und 'göttlichem' Licht. Aus den Fingern von Gottes Schöpferhand, eingelassen in den Strahlglanz, der vom N amen Gottes ausgeht, emanieren Numerus, Mensura und Pondus. Dies ist ein Zitat aus Sapientia Salomonis 11,20 , das seit Jahrhunderten in christlicher Naturkunde zitiert wird, um die Wissenschaftsförmigkeit der Schöpfung herauszuheben und damit eben die Wissenschaft selbst zu nobilitieren.[7] Doch das göttliche Schaffenslicht durchstrahlt die Welt nicht mehr allein. Vielmehr werden von der personifizierten Astrea- Urania - gewandet in Sternenkleid und Zodiakus-Gürtel, mit der Armillarsphäre als Symbol der Meßkunst und Astronomie in der Linken - zwei Weltbilder diskursiv abgewogen:[8] gegenüber dem kopernikanischen erweist sich das Modell von Tycho Brahe als das schwerere (richtigere), während das ptolemäische WeltmodelI, wie schon Ptolemäus selbst, bereits auf dem Boden liegen: Ptolemäus aber wird, wie er sagt, erhoben werden, indem er korrigiert wird (durch Brahe, aber nicht durch Kopernikus/Galilei). Kosmologie ist zwar nicht mehr nur eine unmittelbare Ausstrahlung Gottes, sondern sie differenziert sich historisch in eine Vielheit von Diskursen aus. Das ist eine Erschütterung von Evidenz, die Riccioli zu restaurieren unternimmt - allerdings auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Links ist Argus mit dem Fernrohr zu sehen, in das die Sonne, lumen natura/e, einstrahlt, um einem der Argus-Augen, auf dem Knie, Beobachtung zu ermöglichen. Die Sonne erlaubt Beobachtung, aber sie ist selbst auch Gegenstand von Beobachtung. Riccioli hatte sich in den Diskurs zwischen Galilei und dem Ingolstädter Jesuiten Christoph Scheiner (1575-1650) über die Sonnenflecken mit eigenen Studien eingeschaltet.[9] Der Finger des Argus weist auf den göttlichen Glanz: die Himmelsbeobachtung wird zum Index, der die Werke Gottes anzeigt (Deixis). Ps 104,5 zitierend, sagt Astraea-Urania, daß sie, die Erde, in alle Ewigkeit nicht wanken wird (so wird durch biblische Autorität die Zentralität der Erde gesichert). Der Waage-Balken wird mit einem Halbvers aus Ovids Metamorphosen subskribiert (Met. I, 12/13), worin ausgedrückt wird, daß die Erde in austariertem Gewicht von der Luft umflossen schwebt: derart im Sinne christlicher Kosmologie manipuliert, wird Ovid zum Zeugen des jesuitischen Weltmodells. Rechts und links neben der Schöpferhand werden die Planeten nach dem geo-heliozentrischen Weltmodell Brahes verteilt. Links Merkur, Mars und Venus, die um die Sonne kreisen, rechts, auf der Seite der Nacht als der Zeit der astronomischen Beobachtung, Saturn, Jupiter und Mond, die um die Erde kreisen. Auf Tag und Nacht verteilen sich die beiden Wissensformen: der Tag bringt das Wort Gottes hervor, die Nacht hingegen die Wissenschaft (Astronomie). Man erkennt Saturn bereits mit Ring, Jupiter schon mit den Galileischen Jupitermonden; der Mond wirkt wie ein Bildzitat der Mond-Abbildungen aus dem Sidereus Nuncius (1610) von Galilei.[10] Riccioli, dem neuartige Beobachtungen an Jupiter und Saturn gelangen und der den Mond mittels Teleskop genauestens kartierte (Selenographie), ist auf der Höhe der Zeit. Unterhalb des Mondes erkennt man einen Kometen, eine umstrittene Himmelserscheinung, von der noch unausgemacht ist, ob sie (nach Aristoteles) der sub- oder der supralunaren Sphäre angehört. Längst ist es ein offener Streit, ob nicht die Kometenbahnen, die nach Berechnungen vieler Astronomen die Bahnen der Planeten überschneiden, das Modell der festen Sphärenschalen und damit ein entscheidendes Konstruktionselement der aristotelischen Welt obsolet machen. Kosmologische Evidenz hat auf diesem Frontispiz zwar noch einen dogmatischen Rückhalt und Zielpunkt in christlicher Schöpfungstheologie, doch im Konkreten ist die Frage der Wahrheitsevidenz an eine internationale, auch überkonfessionelle Wissenschaftler-Gemeinschaft und ihre empirischen Verfahren der Beobachtung und Darstellung überstellt worden. Wie das Teleskop, nach Blumenberg, zum Weltanschauungsinstrument wird, so wird die Wissenschaft insgesamt zum konstruktiven Bildner des Weltbaus - diesen Prozess kann Riccioli, dessen ebenso restauratives wie 'modernes Frontispiz die Fronten des Diskurses genau markiert, nicht aufhalten.[11] War das Licht bisher göttlich-kreatives und kosmisches Licht, ferner Licht der Beobachtung und der Erkenntnis, so ist es, wie schon das Fernrohr zeigte, zunehmend auch technisches Licht (Optik). Erkennbar wird dies auf dem Frontispiz (Abb. 4) zu Salomon de Caus' (1576-1626) Abhandlung Von gewaltsamen Bewegungen (1615). Der Stecher ist vermutlich Jacob van der Heyden (1573-1645).[12] Auf der oberen Brüstung figurieren die vier Elemente nicht mehr als naturphilosophische Wurzelkräfte (stocheia, rhizomata), sondern sie dienen schlicht als Einteilungsprinzip von Techniken: Hydraulik, Pneumatik, Agrartechnik und Optik. Wie der hydraulische Druck zum Öffnen des Fensterflügels eingesetzt wird, so die Streulinse zur Beleuchtung des Titels der Abhandlung. Es geht im Sinne der Aristotelischen Mechanik um Effekte para physin, nicht um die Erkenntnis natürlicher Bewegungen (kata physin), welche auf das zielt, was von Natur aus, also immer ist (d.i. bei Aristoteles: Physik). Unten operieren Archimedes und Heron, die antiken Vorbilder der Ingenieurskunst, um deren Grundlegung es de Caus geht. Das Fenster gibt den Blick auf eine legendäre Szene frei: die Belagerung von Syrakus durch den römischen General Claudius Marcellus 214-212 v. Chr. während des Zweiten Punischen Krieges, bei dem Archimedes nach dem Bericht von Plutarch (Bioi paralleloi, 75 n. Chr.) neuartige Kriegstechniken zu Verteidigung der Stadt eingesetzt haben soll. Man erkennt einen Kran, der ein feindliches Schiff anhebt und zum Kentern bringt, sowie ein abgebranntes Schiff. Dies verweist darauf, daß Archimedes Brennspiegel eingesetzt hatte, um das Sonnenlicht auf feindliche Schiffe so zu konzentrieren, daß sie entflammten. Aus dem Licht der Wahrheit wird, mittels Technik, die erste Lichtwaffe der Geschichte: Evidenz besteht nicht darin, Objekte ins Licht des apophantischen Logos zu rücken, sondern sie zu vernichten. Descartes hielt das für eine Legende, während Athanasius Kircher, nach Ortsbesichtigung, die Archimedische Lichtwaffe für technisch möglich hielt;[13] noch Georges- Louis Leclerc Buffon unternahm, um dem Archimedischen Versuch Evidenz zu verleihen, 1747 in den Tuillerien den erfolgreichen Versuch, mittels Parabolspiegel aus einer Entfernung von 150 Metern Holz zu entzünden.[14]

Domenico Feti: Gelehrten-Porträt (Archimedes).

Abb. 7. Domenico Feti: Gelehrten-Porträt (Archimedes). Öl/Lwd., 98×73,5 cm, Dresden, Gemäldegalerie.

Die Faszination dieser kriegstechnischen Experimente ist deutlich zu erkennen in den Uffizien, auf den Wandfresken, die Giulio Parigi nicht zufällig im Stanzino delle Matematiche anbrachte (Abb. 5). Die technisch-optische Seite des Lichtes wird besonders herausgearbeitet in Athanasius Kirchers Ars Magna Lucis Et Umbræ (1646/1671) (Abb. 6). Kircher konstruiert Formen des parabolischen, elliptischen und kreisrunden Brennspiegels, um jene Lösung zu finden, die der Archimedischen Legende Evidenz verleiht; es ist seiner Schätzung nach der elliptische Spiegel. Es geht dabei um weit mehr als nur ludisch-spektakuläre Effekte: das ehemals göttliche Licht (der Wahrheit und Schöpfung) wird transformiert zu einem technischen Medium, das sich der Mensch aneignet. Wie sehr Archimedes symbolisch für diese neuartige Nutzung des Lichtes steht, wird auf dem Gelehrtenporträt sichtbar, das vermutlich Archimedes darstellt und von Domenico Feti (1589-1623) gefertigt wurde (Abb. 7). Zwar tauchen hier, außer dem Spiegel, der als dinglicher Korrespondent der grüblerischen Reflexionshaltung des (mit Lorbeer geehrten) Gelehrten figuriert, gar keine optischen Instrumente auf. Der Spiegel ist indes Vertreter der Optik in der Reihe der anderen Attribute des Naturwissenschaftlers: Richtscheit und Zirkel, geometrische Konstruktionszeichnungen auf dem Blatt, Buch und Himmelsglobus, Uhr und Schreibzeug. Neben diese ebenso emblematischen wie technischen Zeichen der Evidenz, durch die der Rang des Gelehrten bezeugt wird, tritt indes die malerische Behandlung des Lichts. Licht ist dasjenige Medium, das die Plastizität der Dinge und des denkenden Gelehrten herausarbeitet und sich zu Farben bricht. Licht ist nicht nur konstitutiv für den mundus visibilis, konstitutiv nicht nur für den orbis pictus, sondern es bildet hier in einem ebenso physischen wie allegorischen Sinn den Schauplatz des Denkens. Das Licht, in das Feti die Szene taucht, ist zugleich das Licht der Erkenntnis, das von Archimedes in konzentrierter Arbeit, in der Haltung des gelehrten Melancholikers, hervorgebracht wird. Es repräsentiert aber auch jenes Erkenntnislicht, das der Legende nach der römische Legionär stört, als Archimedes inmitten des Getümmels des eroberten Syrakus in stoischem Gleichmut weiter an seinen technisch-geometrischen Konstruktionen arbeitet, ohne seinen Mörder zu erkennen: ein seit der Antike bemerkenswert oft dargestelltes Bild-Motiv.

* Hartmut Böhme; Das reflexive Bild: Licht, Evidenz und Reflexion in der Bildkunst — Pluralisierung & Autorität, Band 9, Evidentia - Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Lit Verrlag Münster 2007, S. 331-343.

Das reflexive Bild: Licht, Evidenz und Reflexion in der Bildkunst (Teil 2)

Das reflexive Bild: Licht, Evidenz und Reflexion in der Bildkunst (Teil 3)


[1] Vgl. etwa Buck 1981; Geimer 1993.
[2] Alpers 1985; BeltingiKruse 1994; Holländer 2000.
[3] Jones/Galison 1998; Stafford 1994.
[4] Kemp 1990.
[5] Stoicruta 1998.
[6] Vgl. Rerrunert 2003, 29.
[7] Sapientia Salomonis 11,20 war indes in der Tradition, wie Rerrunert zeigt (2003, 30), eng verbunden mit Daniel 5, 24-30, wo dem König Belshazzar das Gericht (Menetekel) angekündigt wird: eine Anspielung auf die Verurteilung Galileis und eine Drohung an die Adresse der Kopernikaner.
[8] Urania ist, wie Riccioli im Vorwort sagt, Astraea, die Göttin der Gerechtigkeit, die mit der Waage ein Urteil herbeiführt.
[9] Vgl. hierzu auch den Beitrag von Horst Bredekamp in diesem Band.
[10] Galilei 1965. Vgl. dazu Bredekamp 2000.
[11] Blumenberg 1980.
[12] Ausführlicher hierzu: Böhme/Böhme 1996. 257-262.
[13] Die übersetzte Kircher-Passage über Archimedes findet man unter http://www.uni-wuerzburg.de/aegyptologie/kircherlarchimedes. pdf [13. 5. 2006]
[14] Godwin 1994, 83.