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Johann Taschner (1978-1978) 2012, oil on canvas, 24×22 cm
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Johann Taschner (1978-1978) |
Freundschaftsbildes und der Kunstanschauung
BIBLIOGRAPHIES
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Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 1)
Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 2)
Frank Büttner
Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 3)*
Die dritte Möglichkeit der Veranschaulichung des Begriffs der Freundschaft war die Personifikation. Auch sie hatte selbstverständlich eine lange Tradition, die in der Bildersprache der Spätrenaissance und des Barock kulminierte. Cesare Ripa hatte in seiner überaus erfolgreichen >Iconologia< mehrere Beispiele für die Personifikation der >amicizia< gegeben, wobei er dem Prinzip seines Werkes gemäß den Begriff jeweils nur durch eine einzelne Figur verbildlicht sehen wollte.[64] Sehr bald schon gingen die Künstler dazu über, diese Personifikationen nicht mehr einfach nebeneinander aufzureihen, sondern zu handelnden Gruppen zu verbinden. Wenn die enge und positive Beziehung zwischen zwei Begriffen zum Ausdruck gebracht werden sollte, wurden deren Personifikationen wie Freundespaare zusammengerückt. So stellte beispielsweise Pietro da Cortona in der Sala di Marte des Palazzo Pitti in Florenz Pax und Justitia als einträchtig nebeneinander sitzende Frauen dar. Tiepolo verband in entsprechender Weise in verschiedenen Deckenfresken die weiblichen Personifikationen von Virtus und Nobilitas.[65] Auf diesen Typus des einträchtig vereinten Personifikationspaares griff Angelika Kauffmann zurück, als sie 1782 ihr programmatisches Selbstbildnis schuf, in dem sie sich selbst als Personifikation der Zeichnung darstellte, die sich von der Muse der Poesie inspirieren läßt.[66]
Abb. 4B
Aus dieser reichen Tradition heraus hat Franz Pforr 1808 eine allegorische Darstellung der Freundschaft geschaffen.[67] Einen eigenen Weg ging er insofern, als er die Freundschaft nicht mit einer Einzelfigur personifizierte, sondern mit einem Figurenpaar. Die bei den Freundinnen sitzen einander zugewandt beisammen und geben sich die Hand. Um sie herum hat Pforr eine ganze Reihe von Symbolen verteilt, die traditionell auf die Freundschaft bezogen wurden: Hund und Schwert stehen für Treue und Kampfbereitschaft, Schlüssel und Geld für wechselseitige Offenheit und gemeinsames Teilen des Besitzes.[68] Mit dem Kleeblatt in der Hand der rechten Figur wird wie in Overbecks Selbstbildnis auf den Freundesbund hingewiesen, der Passavant einschloß. Durch die Anfangsbuchstaben der Namen der drei Freunde in dem an der Fensterbrüstung angebrachten Kreis wird dieser Zusammenhang bekräftigt. Besonderes Gewicht erhält die Darstellung durch das als Bild im Bilde eingefügte Abendmahl, das hier als biblisches Exemplum des mit einem Liebesmahl geschlossenen Bundes steht und zugleich den Dreierbund in die Nachfolge der Apostel stellt. Das Motiv des Adlers, den man links im Hintergrunde sieht, wurde bisher in der Literatur nicht genau erfaßt.[69] Im Entwurf hatte Pforr den Adler zunächst zur Sonne fliegend darstellen wollen, hat sich dann aber für den in die Sonne blickenden Adler entschieden. Dahinter steht ein altes Motiv, das auf die antike Tierkunde zurückgeht, nach der der Adler als einziges Tier den Blick in die Sonne aushalten und sich zu ihr emporschwingen könne, um sich zu verjüngen. Im christlichen >Physiologus< wurde dies als Symbol der Erneuerung durch den Glauben an Christus gedeutet. Diese Bedeutung wurde in der Emblematik vielfältig variiert.[70] Für die Lukasbrüder war dies auf die persönliche >Erweckung< durch den Glauben zu beziehen, aber viel mehr noch auf die Erneuerung der Kunst aus dem Glauben heraus. So vereinte Pforr in dieser Allegorie seine Ideale der Freundschaft und der Kunst.
Sulamith und Maria - Italia und Germania
Für Pforr und Overbeck hatte das Bild noch eine weitere Bedeutungsdimension. Pforr berichtete Passavant im September 1808, daß er begeistert gewesen sei von Overbecks Darstellung der Maria und Martha, die in Overbecks >Auferweckung des Lazarus< rechts vor Christus knien. Deren Schönheit habe sie angeregt, sich ihre Idealvorstellungen von Frauen auszumalen.[71] Overbeck stellte in einem Brief diese Begebenheit bezeichnenderweise sublimierter dar. Er schrieb im Februar 1808 seinem Vater, sie hätten sich während ihrer intensiven Kunstgespräche über das Ideal unterhalten und seien dabei auf die Idee gekommen, ihr Ideal in einer Figur verkörpert zu beschreiben.[72] Es kann kein Zweifel sein, daß Pforrs Zeichnung aus diesen Gesprächen hervorgegangen ist. Pforrs >Allegorie der Freundschaft< bezeichnete für ihn also die Freundschaft zwischen seinem Ideal und demjenigen von Overbeck.
Von hier aus führte dann der Weg zur Erfindung der Geschichte von Sulamith und Maria, zu Pforrs kleiner Bildtafel mit der Darstellung der beiden Idealbräute und zu Overbecks großem Karton. (Abb. 4B)Da dieser Weg in dem Beitrag von Brigitte Heise ausführlich beschrieben wird, mag es hier genügen, beide Bilder kurz als Manifeste der Freundschaft der beiden Lukasbrüder zu betrachten. Pforr und Overbeck hatten die Idee einer lebensvollen bildlichen
Franz Pforr, Allegorie der Freundschaft
Verkörperung ihrer Ideale mit nach Italien genommen. Dort haben sie ihren Idealen Namen gegeben: Sulamith nannten sie die Phantasiebraut Overbecks, Maria diejenige Pforrs. Pforr hat dann die Geschichte der beiden Mädchen zu einer Legende ausgesponnen, die er für Overbeck niederschrieb und gleichzeitig illustrierte.[73] (Abb. 6)Obwohl die beiden danach Schwestern sein sollten, waren sie in ihrer Erscheinung dennoch verschieden. Die blonde Maria erscheint zurückhaltender, geradezu scheu, »züchtig in Gebärden und Kleidung hielt sie sich nach Art der Bürgerstöchter«.[74] Sulamith ist dunkelhaarig und tritt mit einer gewissen Würde und Pracht auf. Man ahnt dahinter den Unterschied von nordalpinem und südländischem Temperament.
Gipfelpunkt der Beschäftigung Pforrs mit dieser Idee war das kleine Gemälde, das sich heute im Besitz der Sammlung Schäfer befindet. (Abb. 5A) Den Plan des Bildes beschrieb der Maler ausführlich in einem Brief vom Herbst 1811.[75] Overbeck hatte schon im Jahr zuvor Pforrs Maria auf seinem bereits erwähnten Porträt des Freundes dargestellt. Im Herbst 1811 arbeitete er an dem Entwurf und dem Karton zu seinem großen Halbfigurenbild.
Abb. 6
Schon in den ersten Monaten ihrer Freundschaft hatten Overbeck und Pforr sich intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten dem Künstler zur Verfügung stehen, Figuren ihrem Wesen gemäß zu charakterisieren. Eine wichtige Rolle spielte für sie dabei die Farbsymbolik, doch werden sie dabei bei ihren Gesprächen nicht stehen geblieben sein, zumal die Frage nach dem Charakteristischen zu einer Schlüsselfrage des kunsttheoretischen Diskurses um 1800 geworden war.[76] Die Aufgabe, die sie sich bei ihren Freundschaftsbildern gestellt hatten, lief letztlich darauf hinaus, idealtypische nationale Charaktere des Italienischen und des Deutschen zu schaffen, die implizit als Charakteristik der italienischen und deutschen Kunst gelesen werden konnten und damit als Idealtypen des Schaffens der beiden Lukasbrüder. Sie zielten damit auf eine bemerkenswerte Synthese. Der Begriff des Charakteristischen, wie ihn beispielsweise Hirt verwandte, bezeichnete das Herausarbeiten spezifischer individueller Züge auf der Seite des Darstellungsobjektes oder des Porträtierten.[77] Der Begriff konnte jedoch auch mit dem Blick auf die subjektive Seite des Schaffensprozesses verwandt werden. Für den jungen Goethe konnte Kunst dann als »charakteristisch« gelten, wenn sie aus dem innersten Wesen des Schaffenden entsprungen war, ohne durch fremde Grundsätze oder Theorien verformt worden zu sein.[78] Jeder geniale Künstler schafft die ihm entsprechende Kunst, aber nicht nur Individuen, auch Nationen können eine »charakteristische«, also eine ihrem Nationalcharakter entsprechende Kunst hervorbringen.
Bestärkt durch die Geschichtsphilosophie Herders hat Wackenroder in seinen >Herzensergießungen< mehrfach auf diesen Gedanken zurückgegriffen: »Begreifet doch, daß jedes Wesen nur aus den Kräften, die es vom Himmel erhalten hat, Bildungen aus sich herausschaffen kann, und daß einem jedem seine Schöpfungen gemäß sein müssen.« Notwendigerweise betrachtet jeder sein eigenes Gefühl »als das Zentrum alles Schönen in der Kunst«. »Warum verdammt ihr den Indianer nicht, daß er indianisch und nicht unsere Sprache redet? - Und doch wollt ihr das Mittelalter verdammen, daß es nicht solche Tempel baute wie Griechenland?«[79] In der Zeit Dürers, so meinte Wackenroder, sei der deutsche Nationalcharakter noch nicht durch fremde Einflüsse verfälscht gewesen. »In unseren Zeiten ist dieser festbestimmte deutsche Charakter, und ebenso die deutsche Kunst, verlorengegangen.« Durch den Klassizismus sei die deutsche Kunst »zum allgemeinen Weltmann geworden, der mit den kleinstädtischen Sitten zugleich sein Gefühl und sein eigentümliches Gepräge von der Seele weggewischt hat.«[80] Wackenroder war überzeugt, daß jedes normierende Schönheitsideal der Kunst schädlich sei. Die Konsequenz daraus konnte nur sein, daß alle nationalen Spielarten der Kunst gleichberechtigt nebeneinander stehen. In der von ihm erträumten idealen Welt der Kunst sind Raffael und Dürer innig miteinander befreundet.
Abb. 5A
Da der Begriff des Charakteristischen im Kunstdiskurs der Zeit um 1800 zunehmend als Bezeichnung für das objektiv Charakteristische, wie es etwa im Porträt erscheinen soll, eingesetzt wurde, wurde für das subjektiv Charakteristische, das Goethes Wort von der »charakteristischen Kunst« meinte, immer häufiger der entsprechende deutsche Begriff des » Eigentümlichen« verwendet. Ihn finden wir auch bei Overbeck. Aus Rom schrieb er an seinen Vater: »Es ist gemeiniglich nur ein Hauptfehler der zu falschen Urtheilen über die deutsche Kunst Anlaß gibt, daher (sic!) nehmlich daß man, ohne die innere Eigenthümlichkeit derselben recht zu beherzigen, gewiß allgemeine Forderungen macht, die sie ihrer Innersten Natur nach unmöglich erfüllen kann. Das ist aber eben so ungerecht als wenn man Orangen auf einem Eichbaum suchen wollte.«[81]
Es erscheint widersprüchlich, daß Overbeck sich mit seinem Sehnsuchtsbild der Sulamith das Ideal italienischer Kunst zum Ziel gesetzt hat und nicht wie Pforr dem seiner Herkunft gemäßen Ideal einer »eigentümlichen« deutschen Kunst folgen wollte. Overbeck jedoch ließ diesen Widerspruch so nicht gelten. Nach der Fertigstellung der Gemäldefassung schrieb er: » Daß ich nun aber gerade die Idee einer Germania und Italia wählte, darüber gibt mein besonderer Stadpunkt hier als Deutscher in Italien Aufschluß. Es sind die beiden Elemente gleichsam, die sich einerseits fremd gegenüberstehen, die aber zu verschmelzen nun einmal meine Aufgabe, jedenfalls in der äußeren Form meines Schaffens, ist und bleiben soll, und die ich deshalb hier in schöner inniger Befreundung mir denke.«[82] Overbeck sah seine Aufgabe darin, den Weg fortzusetzen, den Perugino und Raffael gebahnt hatten, den die italienische Kunst aber schon bald danach verlassen und auf den die deutsche Kunst nie wirklich gefunden hatte. Das Vorbild Raffael stand für die höchste Vollendung der christlichen Kunst, in der alle nationalen Unterschiede aufgehoben waren. In seinem späten Hauptwerk, dem >Triumph der Religion in den Künsten< hat er dieser Überzeugung Gestalt gegeben. In seiner Erläuterung zu dem Gemälde schrieb er, daß die »christliche Kunst [ ... ] keine Seite der Kunst, keine Entwicklung derselben« ausschließe, »sie mag vielmehr alle in sich begreifen, aber um alle zu adeln und zu heiligen«, indem sie ganz in den Dienst der Religion gestellt werden.[83]
Eine Gleichberechtigung aller Formen und Richtungen der Kunst für die Wackenroder in seinem Plädoyer für »Toleranz und Menschenliebe« eingetreten war, gab es für Overbeck in seinen späten Jahren nicht. Nur eine christliche Kunst konnte den Anspruch erheben, als »wahre« Kunst zu gelten. In seiner Frühzeit hat er sich nicht ganz so einseitig und entschieden geäußert. Gleichwohl gab es für ihn Abstufungen der Wertung und des Ranges der Kunst, die Pforr sehr bewußt waren und in ihm offensichtlich das Gefühl ausgelöst haben, den hohen Anforderungen des Freundes mit seiner Kunst nicht gerecht werden zu können. Wenn er in der Beschreibung seiner Zeichnung Sulamith als »die mir unerreichbare edele und liebliche Gestalt«[84] bezeichnet, so räumt er damit implizit ein, daß für ihn die künstlerischen Ziele Overbecks zu hoch gesteckt waren.
Overbeck gab in seinem Karton eine subtile Antwort auf dieses Minderwertigkeitsgefühl des Freundes. Er wies Pforrs Maria die aktive Rolle zu. In der Körperhaltung, dem Blick und der Geste der Hand zeigt sich Maria als diejenige, die Sulamith zuspricht, vielleicht sogar tröstet und sie stärkt. In dieser Charakterisierung schwingt unaufdringlich und doch deutlich der Anspruch mit, den die Lukasbrüder mit der Gründung ihres Bundes erhoben hatten, nämlich für eine Erneuerung der herabgekommenen Kunst zu arbeiten. Die deutsche Kunst, für die die Lukasbrüder standen, sollte auch der italienischen Kunst aufhelfen.
Nach dem Tode von Pforr hatte Overbecks Bildidee ihre ursprüngliche Zielsetzung verloren, für den Freund ein Denkmal der Freundschaft und der gemeinsamen künstlerischen Ziele zu sein. Als Manifest der künstlerischen Ziele der Lukasbruderschaft behielt es aber seine Bedeutung. Die Umbenennung des Bildes in >Italia und Germania< akzentuierte nur einen Aspekt, der von Anfang an darin enthalten war, wobei allerdings festzuhalten ist, daß die beiden Figuren auch jetzt nur Personifikationen der italienischen und deutschen Kunst sind und nicht Personifikationen der Nation, wie sie Philipp Veit später in den Flügelbildern seines Freskos >Die Einführung der Künste durch das Christentum in Deutschland< geschaffen hat.[85]
Pforrs >Sulamith und Maria< hat Jens Christian Jensen jüngst als »das exemplarische Freundschaftsbild der deutschen Romantik« bezeichnet.[86] Diese Bewertung folgt der von Lankheit gelegten Spur, der die Bilder von Pforr und Overbeck als die herausragenden Beispiele des allegorischen Freundschaftsbildes der Romantik in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt hatte. Doch man sollte sich fragen, ob ein Werk als »exemplarisch« bezeichnet werden kann, wenn es, von Overbecks >Antwort< abgesehen, weder echte Parallelen noch wirkliche Nachfolge gefunden hat. Auch Overbecks Bild kann schlecht als Beleg für die von Lankheit postulierte Gattung des »Freundschaftsbildes« herangezogen werden, weil es nicht typenbildend war. Beide Gemälde sind ganz persönliche Manifeste einer ungewöhnlichen Freundschaft und darüber hinaus Manifeste der Kunstanschauung der Lukasbruderschaft. In der Komplexität ihrer Aussagen ist die einmalige biographische und kunsthistorische Situation ihrer Entstehung aufgehoben. In Konzeption und Gestaltung sind diese Bilder einzigartige Schöpfungen. Zwar kann der kunsthistorisch geschulte Blick mancherlei Bezüge zur älteren italienischen oder deutschen Kunst aufdecken, doch ein wirkliches Vorbild ist nicht zu finden, und genauso wird man in der Malerei des 19. Jahrhunderts Spuren der Rezeption von Overbecks >Italia und Germania< nachweisen können, doch kein Beispiel echter Nachfolge. Die beiden Bilder stehen für einen kurzen glücklichen Moment der deutschen Kunstgeschichte in der frühen Romantik, in dem es schien, als ob die tiefe Krise der deutschen Kunst durch neue Synthese, durch eine Widergeburt aus der alten Kunst überwunden werden könne.
Epilog
Pforr hat in sein Bild für Overbeck vielfältige Reminiszenzen an die Tradition christlicher Kunst eingearbeitet. Schon die Aufteilung der Bildfläche erinnert an mittelalterliche Polyptychen. Die Darstellung der Maria lehnt sich nicht nur an Dürers Hieronymus-Stich an, sie erinnert auch an Darstellungen der Verkündigung, wenn man dort auch schwerlich eine Maria finden wird, die ihr Haar zurechtlegt. Sulamith und ihr Kind wiederum können ihre Herkunft von dem Darstellungstypus der Maria auf der Rasenbank nicht verleugnen. Mit der Darstellung des Evangelisten Johannes schließlich wird die christliche Tendenz entschieden unterstrichen. Für Lankheit waren diese formalen Elemente Belege für die Behauptung, daß Pforr hier ein >Kultbild< geschaffen habe, woraus die oben bereits erwähnte These gefolgert werden müsse, daß die Freundschaft für die Lukasbrüder zum »Religionsersatz« geworden sei.[87] Hinter dieser These steht ein Begriff der Säkularisation, nach der jede Verwendung von ursprünglich religiösen Motiven in einem profanen Kontext als Auflösen der sakralen Sphäre und Abrücken von der Religion zu deuten sei. Dieses Deutungsmuster wird den Kunstanschauungen der Lukasbrüder nicht gerecht. Wenn die beiden Bräute, die Overbeck und Pforr sich erträumt hatten, zugleich für die Ideale ihres künstlerischen Strebens stehen, dann konnte mit dem Einsetzen religiöser Motive angedeutet werden, daß die Kunst den höchsten Rang unter den menschlichen Tätigkeiten einnimmt und daß sie gerade deshalb dazu berufen sei, die Glaubensinhalte der christlichen Religion zu verkünden und zu ihr hinzuführen. Hier manifestiert sich ein religiöses Sendungsbewußtsein, das man ernst nehmen muß, wenn man die Kunst der Lukasbrüder würdigen will. Sie fühlten sich als Apostel einer neuen und wahren christlichen Kunst.
Diesen Anspruch hielten viele Zeitgenossen und Nachlebende, ob sie nun Künstler, Kritiker oder einfach Kunstfreunde waren, für ungeheuer anmaßend, und das Pathos, mit dem dieser Anspruch vorgetragen worden war, empfanden sie als geradezu anstößig. Friedrich Theodor Vischer, einer der vehementesten ihrer Kritiker, warf Overbeck und damit den Nazarenern überhaupt vor, daß sie die Antinomien der Entwicklung von Kunst und Religion nicht begriffen hätten.[88] Die geistig gewordene Religion bedürfe keiner Bilder mehr. Ihr Anspruch, über aller Zeit stehende Wahrheiten anschaulich zu machen, sei nicht gerechtfertigt. Schon ihrer Entstehung nach seien diese Bilder Produkt der Reflexion und damit »ein ganz modernes, im tadelnden Sinne modernes Produkt.«[89] Die Madonnen der Nazarener könnten ihre Herkunft aus dem 19.Jahrhundert nicht verleugnen. Subjektives Selbstverständnis der Künstler und ihre Außenwirkung waren nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die inneren Widersprüche mußten für einen Kritiker wie Vischer den Wahrheitsanspruch dieser Kunst in Frage stellen. Für ihn war die Kunst der Lukasbrüder und der aus ihnen hervorgegangenen Bewegung der Nazarener symptomatische Begleiterscheinung der politischen Restauration. Daß überzeugte Christen, und zwar keineswegs nur Katholiken, diesen Zweig der neueren deutschen Kunst ganz anders beurteilten und seine Bestrebungen zur Erneuerung der religiösen Kunst anerkannten, versteht sich von selbst. Es standen damals zwei Kunstbegriffe einander gegenüber, die nicht miteinander vereinbar waren, weil sie ihre Gültigkeit aus ganz unterschiedlichen Prämissen ableiteten. Wenn man aus der mittlerweile großen historischen Distanz und frei von voreiligen Schlüssen urteilt, wird man den Lukasbrüdern zubilligen müssen, daß sie für die große Aufgabe, die sich der Romantik insgesamt stellte, Wege zu erkunden, wie durch die Kunst das Metaphysische erfahrbar gemacht werden kann, eine in sich schlüssige Lösung gefunden haben, die, wie die Geschichte ihrer Rezeption zeigt, in kirchlichen Kreise bis weit über die Jahrhundertmitte für gültig erachtet wurde. Daß diese Kunst zunehmend in Dogmatismus erstarrte, war wohl wegen ihrer starken Rückbindung an die kirchliche Tradition nicht zu verhindern. Die Aufbruchszeit der ersten Jahre des Lukasbundes war jedoch noch frei davon. Die Bilder von Sulamith und Maria sind die schönsten Zeugnisse für ihre mit jugendlicher Begeisterung entworfene künstlerische Utopie.
* Frank Büttner; Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland, Staatliche Graphische Sammlung München. Johann Friedrich Overbeck. Italia und Germania. Kulturstiftung der Länder - Patrimonia, Bd. 224, München 2002, S. 28-33 und Abb.
Anmerkungen:
[64] Cesare Ripa, Iconologia, Reprint der Ausgabe Rom 1603, Hildesheim u. a. 1970, S. 15 ff.
[65] Vgl. zum Beispiel das Deckenbild im Palazzo Papadopoli in Venedig, wo Virtus und Nobilitas einander die Hände reichen; vgl. Massimo Gemin und Filippo Pedrocco, Giambattista Tiepolo. Leben und Werk, München 1995, S. 100.
[66] Angelika Kauffmann, Selbstbildnis als >Zeichnung< mit der Muse der Poesie, 1782, London, Kenwood House; Baumgärtel (wie Anm. 6), S. 197 ff.
[67] Das Original der Zeichnung, ursprünglich in Overbecks Besitz, ist verloren. Es existiert davon jedoch ein Nachstich (Compositionen und Handzeichnungen aus dem Nachlaß von Franz Pforr, 2. Heft, Frankfurt a. M. 1834, Nr. 2; vgl. Lehr (wie Anm. 21), S.330f. Ein Entwurf dazu früher in der Sammlung Lahrmann in Dresden, heute in Frankfurt, Städelschen Kunstinstitut (vgl. Die Nazarener, Katalog zur Ausstellung im Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt a. M. 1977, S. 199). Zur Interpretation vgl. Lankheit (wie Anm. 16), S. 131 f.
[68] Während die Bedeutung des Schlangenringes als Ewigkeitssymbol sicher zu sein scheint, ist bislang die Deutung des geflügelten Gegenstandes, der von dem Schlagenring umschlossen wird, umstritten. Die Deutung von Lehr (wie Anm. 21), S. 31, der darin ein .zweiseitig flammendes Herz« sah, wurde von Lankheit (wie Anm. 16), S. 131 zurückgewiesen, der jedoch seiner Lesart .geflügelter Kreis« keine klare Bedeutung zuweisen konnte. Am nächsten kommt der Darstellung Pforrs noch ein Emblem in Rollenhagens >Nucleus Emblematum< von 1611, das einen Schlangenring zeigt, der eine geflügelten Kugel umschließt, während auf der Kugel ein Schwert und zwei Lorbeerzweige stehen. Die allegierte Historie zeigt Jakob, der mit dem Engel ringt, die Umschrift des Tondos nennt die »Sapientia saucta« als Überwinderin des Schicksals. Warncke hat das Emblem als Sinnbild .erprobter Glaubenskraft. interpretiert (Gabriel Rollenhagen: Sinnbilder. Ein Tugendspiegel, hrsg. von Carsten-Peter Warncke, Dortmund 1983, S.204). Diese Bedeutungrichtung würde sich auch in den von Pforr geschaffenen Kontext fügen: als Glaubenskraft, die die Freundschaft »auf ewig« tragen soll.
[69] Lehr (wie Anm .21), S. 31: »Adler, der der aufgehenden Sonne entgegenblickt«; Lankheit (wie Anm. 16), S. 131: »der in die Sonne blickende Adler erwartet das Anbrechen einer neuen Goldenen Zeit«; Kat. Nazarener (wie Anm. 67), S. 199, Nr. E41, versteht den Adler als Evangelistensymbol und damit als Anspielung auf Overbeck.
[70] Henkel / Schöne (wie Anm. 61), Sp. 773 ff.
[71] Pforr an Passavant, Wien, 24. September 1808: Lehr (wie Anm. 21), S. 266; Pforr schrieb im Anschluß an diese Gespräche das Gedicht >An Deutschlands Frauen< nieder, das er Passavant im gleichen Brief mitschickte.
[72] Howitt (wie Anm. 20), Bd. 1, S. 65.
[73] Lehr (wie Anm. 21), S. 187 ff. Den Text des Büchleins überreichte Pforr dem Freund am 14. September 1811.
[74] Pforr, Das Buch Sulamith und Maria, zit. nach Lehr (wie Anm. 21), S. 189.
[75] Zitiert bei Lehr (wie Anm. 21), S. 286-292. Im Katalog Museum Georg Schäfer, Schweinfurt 2000, S. 174 datiert J. C. Jensen den Brief auf »August 1811«, das wäre die Zeit, in der sich Pforr in Nemi aufhielt, dem Text nach muß Pforr seine Gedanken in Rom niedergeschrieben haben. Er überreicht mit dem Brief die Zeichnung zu dem Bild. Die vielen Abweichungen vom ausgeführten Werk belegen, daß er zwar sehr konkrete Vorstellungen hatte, doch sein Gemälde allenfalls gerade begonnen hatte.
[76] Roland Kauz: Die Einheit des Charakters. Das Seelenhafte, Symbolische und Charakteristische in der Porträt-Ästhetik der Romantik, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 43, 1998, S. 223 - 268.
[77] Alois Hirt: Versuch über das Kunstschöne, in: Die Horen, hrsg. von Friedrich Schiller, 3.Jahrgang, 7. Stück, 1797, S. 1 ff., bes. S. 34 ff.; vgl. Gregor Stemmrich: Das Charakteristische in der Malerei. Statusprobleme der nicht mehr schönen Künste und ihre theoretische Bewältigung, Berlin 1994; Jürgen Schönwälder: Ideal und Charakter. Untersuchungen zu Kunsttheorie und Kunstwissenschaft um 1800, München 1995.
[78] Johann Wolfgang von Goethe, Von Deutsche Baukunst (1773): »Diese charakteristische Kunst ist nun die einzig wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigner, selbständiger Empfindung um sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und lebendig. Da seht ihr bei Nationen und einzelnen Menschen dann unzählige Grade« (zit. nach Goethe, Werke, Berliner Ausgabe, Bd. 19, Berlin 1973. S. 19). Zur .Charakteristischen Kunst« vgl. Büttner (wie Anm. 28), Bd. 1, S. 17-26.
[79] Wackenroder, Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst, in: Wackenroder (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 87.
[80] Wackenroder, Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers, in: Wackenroder (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 93 f.
[81] Overbeck an den Vater, Rom um 1810, zit. nach Heise (wie Anm. 19), S. 166.
[82] Overbeck an Wenner, Rom, 31. Januar 1829, zit. nach Howitt (wie Anm. 20), Bd. 1, S. 479.
[83] Overbeck, Der Triumph der Religion in den Künsten, Frankfurt 1840, zit. nach Howitt (wie Anm. 20), Bd. 2, S. 64.
[84] Pforr an Overbeck, Rom, o. Dat., zit. nach Lehr (wie Anm. 21), S. 289.
[85] Wandbilder im Städelschen Kunstinstitut, 1834-836 geschaffen; s. Norbert Suhr, Philipp Veit. Leben und Werk eines Nazareners, Weinheim 1991, S. 245.
[86] Katalog Schweinfurt (wie Anm. 75), S. 174.
[87] Lankheit (wie Anm. 16), S. 333 f.
[88] Friedrich Theodor Vischer: Overbecks Triumph der Religion (1844), in: ders.: Kritische Gänge, hrsg. von Robert Vischer, Bd. 5, München 1922, S. 3-34.
[89] Vischer (wie Anm. 88), S. 7. Vischer schreibt dies in Bezug auf Overbecks >Triumph der Religion in den Künsten<.
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