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Kunstanschauung - Freundschaftsbundes

Gisela Schelesen (1902-1987)
2012, oil on canvas, 32×30 cm

Kunstanschauung - Freundschaftsbundes

Gisela Schelesen (1902-1987)


Kunstanschauung - Freundschaftsbundes

BIBLIOGRAPHIES

 

 

Frank Büttner
Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 1)*

Auffassungen der Freundschaft im 18. Jahrhundert

Die Idee der Freundschaft spielte in der Gesellschafts- und Geistesgeschichte des I8.Jahrhunderts eine zentrale Rolle. In ihrem Aufstieg zu einer Schlüsselkategorie des sozialen Verhaltens spiegelt sich die fortschreitende Emanzipation des Bürgertums. Das traditionelle Adelsideal des »honnête homme«, des Hofmannes, der sich in allen Lebenslagen geschickt und angemessen zu verhalten weiß, wurde im Jahrhundert der Revolution allmählich verdrängt. Nach den von der bürgerlichen Frühaufklärung entwickelten Vorstellungen von der »politischen Klugheit« war Freundschaft lediglich eine Vereinigung zur wechselseitigen Förderung, ein Zweckbündnis, dem allerdings in einer Zeit der Auflösung tradierter Ordnungen und zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung wachsende Bedeutung zukam.[1] In der intensiven Diskussion, die das ganze 18.Jahrhundert hindurch in Deutschland über die Freundschaft geführt wurde, ist abzulesen, wie sich mit der aufgeklärten Vorstellung eines »vernünftigen« sozialen Verhaltens eine besondere emotionale Komponente verband, der dann immer größeres Gewicht zugemessen wurde.

Individueller und gesellschaftlicher Nutzen hielten sich in der Auffassung der Freundschaft während der Epoche der Empfindsamkeit die Waage. GelIert verkündete 1770 in seinen Moralischen Vorlesungen: »Ist die freundschaftliche Liebe zugleich ein Bündniß der Weisheit und der Tugend, gründet sie sich auf die Güte des Verstandes, des Herzens, und auf angenehme Sitten, befestigt sie sich durch einen überlegten und verpflichtenden Beystand, der sich auf die Grundsätze der Aufrichtigkeit und Tugend gründet; ist sie, mit Einem Worte, zugleich Sympathie der Natur, der Vernunft und der Tugend: so kann für den empfindlichen Menschen nichts schätzbarers und nützlichers gedacht werden.«[2]

Kunstanschauung - Freundschaftsbundes

Abb. 1a

Ohne die >vernünftige< Seite des aufgeklärten Freundschaftsbegriffs ganz aufzugeben, radikalisierte die Frühromantik die Auffassung von der Bedeutung der Freundschaft für Denken und Fühlen des Individuums. Friedrich Schlegel verkündete 1799 in seiner >Lucinde<, daß es zwei Arten der Freundschaft gebe: »Die erste ist ganz äußerlich. Unersättlich eilt sie von Tat zu Tat und nimmt jeden würdigen Mann auf in den Bund vereinter Helden, schlingt den alten Knoten durch jede Tugend fester, und trachtet stets neue Brüder zu gewinnen [ ... ] Die andere Freundschaft ist ganz innerlich. Eine wunderbare Symmetrie des Eigentümlichsten, als wenn es vorher bestimmt wäre, daß man sich überall ergänzen solle. Alle Gedanken und Gefühle werden gesellig durch die gegenseitige Anregung und Ausbildung des Heiligsten. Und diese reingeistige Liebe, diese schöne Mystik des Umgangs schwebt nicht bloß als fernes Ziel vor einem vielleicht vollendeten Streben. Nein, sie ist nur vollendet zu finden [ ... ] zu dieser Freundschaft ist nur fähig, wer in sich ganz ruhig wurde und in Demut die Göttlichkeit des anderen zu ehren weiß.«[3]

Freundschaft, so kann man zusammenfassend sagen, wurde im späten 18.Jahrhundert zum» Inbegriff einer bürgerlichen Gemeinschaftsutopie, in der sich der Einzelne sozial und emotional ganz verwirklichen kann«.[4] Mit der Möglichkeit einer freien, gleichberechtigten Vergesellschaftung, die die Freundschaft bot, wurde die utopische Hoffnung verbunden, die bestehende gesellschaftliche Organisation, das brüchige >Ancien Regime< von innen heraus reformieren zu können.[5] Die Ziele und Wertvorstellungen, mit denen sich die Freundes kreise zusammenfanden, sollten nach außen getragen und so allmählich in der Gesellschaft durchgesetzt werden.

Im kulturellen Leben des 18. Jahrhunderts zeigt sich die wachsende Bedeutung der Freundschaft im fließenden Übergang von den gesellschaftlichen Formationen der Salons und Lesegesellschaften zu den literarischen Freundeskreisen, wie sie Bodmer in Zürich, Gleim in Halle oder Klopstock in Kopenhagen und Hamburg um sich versammelten. Das schönste kunstgeschichtliche Beispiel für diese Entwicklung bietet Angelika Kauffmann, die sich 1780 in Rom niedergelassen hatte und in ihrem Palast, den vor ihr Mengs bewohnt hatte, die künstlerische und literarische Elite Roms um sich versammelte.[6] Aus zahlreichen zeitgenössischen Berichten erfahren wir, wie die Malerin bestrebt war, die Verbindungen mit Persönlichkeiten wie Goethe oder Herder über den geselligen Austausch in ihrem Salon hinaus zu festigen und durch Freundschaftsrituale zu vertiefen.[7] Sie malte deren Porträts und schmückte damit ihren Salon und ihr Atelier, um so die abwesenden Freunde wenigstens bildlich gegenwärtig zu haben. Wenn sie einem Freunde ihr Selbstporträt schenkte, so war dies eine symbolische Geste, der sie tiefe Bedeutung beimaß. Großen Ruhm erlangte die Sammlung der Freundesporträts, mit denen der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim sein Wohnhaus in Halberstadt zu einem Tempel der Freundschaft ausgestaltete.[8]

Die zunehmende soziale Bedeutung, der gesteigerte gesellschaftliche Anspruch derartiger Freundschaftsverbindungen förderte die Tendenz zu deren Institutionalisierung zu einem Bund. Natürlich war das in der Aufklärung weit verbreitete Logenwesen ein wichtiges Vorbild dafür.[9] Das bekannteste Beispiel eines literarischen Freundschaftsbundes ist der Hainbund, der im September 1772 in Göttingen zwischen Voß, Hölty und vier weiteren Freunden mit einem feierlichen Schwur geschlossen wurde und dessen Ziel die wechselseitige Förderung des dichterischen Schaffens durch gemeinsame Lesungen, Gespräche und aufrichtige Kritik war.[10] Daß dieser Zusarnmenschluß als Bund bezeichnet wurde, ist höchst symptomatisch. In seiner politischen Bedeutung war dieser Begriff, wie Koselleck gezeigt hat, damals zurückgedrängt und durch den Begriff des Bündnisses ersetzt worden. Zugleich trat die tradierte theologische Bedeutung des Bundbegriffes wieder in den Vordergrund. Im religiösen Diskurs der verschiedenen pietistischen Strömungen über Erlösung, Heilsgeschichte und Eschatologie gewann er ein erneutes, gesteigertes Gewicht: »Im >Bund< konnte seitdem eine Heilserwartung vom engsten Konventikel bis zur Menschheit und ihrem weltgeschichtlichen Ziel aufgehoben sein«.[11]


Freundschaften der Romantik

Die Romantik sollte diese Tendenzen, die in der aufgeklärten Empfindsamkeit vorbereitet worden waren, auf ihren Höhepunkt führen. Zahlreich sind die Nachrichten über Freundschaftsverbindungen, die in ihrem Anspruch weit über ein alltägliches Miteinander hinausgingen, und in der romantischen Literatur spielte das Thema Freundschaft eine zentrale Rolle. Beispielhaft ist die Freundschaft zwischen Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder. Die beiden hatten gemeinsam das Friedrichwerdersche Gymnasium besucht. Nachdem Tieck sein Studium in Halle aufgenommen hatte, entspann sich zwischen beiden ein intensiver Briefwechsel, der einen lebendigen Einblick gibt in das, was die beiden Freunde bewegte. Das Sommersemester 1793 verbrachten beide in Erlangen, wo Tieck an Wackenroders Entdeckung der >altdeutschen< Kunst Anteil nehmen konnte. Im anschließenden Studienjahr haben die beiden Freunde ihre kunstgeschichtlichen Kenntnisse in Götringen vertieft, wo sie unter anderem die Vorlesungen von Johann Dominicus Fiorillo besuchten. Wackenroders >Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders< und Tiecks Künstlerroman >Franz Sternbalds Wanderungen< sind die Produkte ihres intensiven Austausches über ihre künstlerischen Idealvorstellungen und Lebensentwürfe. Wie Tieck einzelne Beiträge zu den >Herzensergießungen< geliefert und die >Phantasien über Kunst< des Freundes angereichert und herausgegeben hat, so hat Wackenroder, auch wenn dies im Einzelnen nicht genau abzugrenzen ist, an der Konzeption und an den ersten Teilen des >Sternbald< einigen Anteil.

Die große Bedeutung, die die Freundschaft für sie selbst hatte, spiegelt sich in ihren Werken auf verschiedene Weise. Wackenroders Vision, daß Raffael und Dürer Hand in Hand durch eine Galerie wandeln und ihre Gemälde betrachten, war ein eindringliches Beispiel für die von ihm geforderte »Toleranz und Menschenliebe in der Kunst«, die sich dessen bewußt ist, daß jeder Künstler »sein Inneres äußert wie er kann und soll* und daß es notwendig ist, sich »in alle fremden Wesen hineinzufühlen, und durch ihr Gemüt hindurch ihre Werke zu empfinden«, ganz so wie der Freund mit dem Freunde fühlt.[12] Im Mittelpunkt von Tiecks Künstlerroman steht das Freundespaar Franz und Sebastian, die beide bei Dürer in die Lehre gingen.[13] Der Abschied der beiden eröffnet die Erzählung, und die Briefe, die die Freunde dann austauschen, sind für den Dichter ein wichtiges Mittel, dem Leser das Innere der bei den Freunde aufzuschließen und ihr Ringen um ihren Weg in der Kunst verständlich zu machen. Hier finden sich Sätze, die die Kunstanschauung der kommenden Generation vorwegnahmen: »Du glaubst nicht, wie gern ich jetzt etwas malen möchte, was so ganz den Zustand meiner Seele ausdrückte, und ihn auch bei andern wecken könnte.« Oder: »Der Künstler sollte nach meinem Urteil bei Bauern oder Kindern manchmal in die Schule gehn, um sich von seiner kalten Gelehrsamkeit oder zu großen Künstlichkeit zu erholen, damit sein Herz sich wieder einmal der Einfalt auftäte, die doch nur einzig und allein die wahre Kunst ist.«[14] Kunst kann nur in der völligen Übereinstimmung von innerer Empfindung und äußerem Schaffen entstehen. Die Fähigkeit zur »Innerlichkeit« ist Voraussetzung für die Freundschaft wie für die Kunst.

Wenige Monate vor dem Tode Wackenroders lernte Tieck in Berlin Friedrich Schlegel kennen und wurde durch ihn in jenen Kreis hineingezogen, der sich in Jena bilden sollte und der als der eigentliche Kern der Frühromantik gilt. Es wäre wohl nicht richtig, sich diesen Kreis, zu dem neben den Brüdern Schlegel und ihren Frauen unter anderem Novalis, Schelling und Schleiermacher gehörten, als harmonischen Freundschaftsbund vorzustellen, denn neben engster Übereinstimmung war hier auch Distanz, Antipathie und sogar Intrige zu finden, doch was diesen Kreis auszeichnete war der intensive und produktive Austausch über alle Fragen der Kunst, Philosophie und Wissenschaft, die rückhaltlose Auseinandersetzung mit der Literatur und den geistigen Strömungen der Zeit und die gemeinsame Suche nach Wegen zu dem idealen Ziel einer neuen universalen Poesie. Für dieses gemeinschaftliche Nachdenken, das Arbeiten an dem umfassenden Projekt einer .romantischen Poesie«, die »progressive Universalpoesie« zu sein behauptete, prägte Friedrich Schlegel den Begriff der »Symphilosophie«: »Vielleicht würde eine ganz neue Epoche der Wissenschaften und Künste beginnen, wenn die Symphilosophie und Sympoesie so allgemein und so innig würde, daß es nichts Seltnes mehr wäre, wenn mehre sich gegenseitig ergänzende Naturen gemeinschaftliche Werke bildeten.«[15] Das Schaffen des Einzelnen bleibt notwendigerweise immer Fragment. Nur in gemeinsamem Austausch und gemeinsamer Arbeit kann das höchste Ziel der Kunst erreicht werden. Der Jenaer Athenäumskreis, wie er nach der von den Brüdern Schlegel herausgegebenen Zeitschrift auch benannt wird, war ein glücklicher, aber leider nur kurzer Moment der deutschen Geistesgeschichte.


Künstlerfreundschaften

Es sollte fast ein Jahrzehnt dauern, bis diese Ideen eines produktiven Freundschaftsbundes bei bildenden Künstlern auf fruchtbaren Boden fallen konnten. Natürlich gab es auch vor her Freundschaften unter Künstlern, doch in der Romantik sollte die Freundschaft eine neue Qualität erlangen. Wenn man auf das I8.Jahrhundert zurückblickt, ist auffällig, daß sich gerade in den historisch bedeutendsten Freundespaaren ganz verschieden ausgerichtete Persönlichkeiten zusammenfanden, die sich wechselseitig anzuregen und zu ergänzen vermochten, aber mit ihrem Schaffen einander keine Konkurrenz machen konnten. Winckelmann und Mengs waren ein solches Freundespaar oder Carstens und Fernow. Das Verhältnis, in dem diese zueinander standen, fügt sich gut in die Freundschaftsvorstellungen der späten Aufklärung. Die Freundschaft war für sie Anregung, aber nicht eigentlich Nährboden ihres künstlerischen Schaffens.

Auch für die Generation der Romantiker darf man die Bedeutung der Freundschaftsverbindungen nicht überschätzen und den Stellenwert, den sie in bestimmten Fällen haben mögen, nicht verallgemeinern. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Thesen von Klaus Lankheit zu sagen, der mit seiner Arbeit über >Das Freundschaftsbild der Romantik< das kunsthistorische Verständnis dieses historischen Phänomens nachhaltig geprägt hat.[16] Lankheit glaubte bei den Künstlern um und nach 1800 »innere Bindungslosigkeit«, »Unsicherheit im Glauben«, »die Empfindung grenzenloser Vereinsamung« diagnostizieren zu können. »Die völlige Haltlosigkeit und die ungeheure Leere dieser jungen Menschen« ließ sie nach einem neuen festen Mittelpunkt als Ersatz für alles Verlorene« suchen, den sie im »Erlebnis der Freundschaft« fanden, die für die Romantiker »Hilfe und Heiligtum zugleich« wurde.[17]

Schon die beiden >Romantiker der ersten Stunde<: Philipp Otto Runge und Caspar David Friedrich fügen sich schlecht in dieses Deutungsmuster. Zwar sah sich Runge in der Tat in einer Zeit eines ungeheuren Umbruchs stehen. Endgültig bewußt geworden war ihm dies mit dem Scheitern seiner Bemühungen um Anerkennung bei den von Goethe veranstalteten >Weimarer Preisaufgaben<. Doch von »Haltlosigkeit« und »Leere« kann bei ihm keine Rede sein, denn mit der Einsicht, daß in Weimar ein falscher Weg eingeschlagen wurde, war ihm auch klar, daß es, wenn man ein wirkliches Kunstwerk schaffen will, nicht reicht, ein klug gewähltes oder vorgegebenes Thema ins Bild zu setzen, wie die Preisaufgaben es suggerierten. Wahre Kunst kann nur aus dem inneren Gefühl hervorgehen, das als »Ahnung« von Gott zugleich identisch ist mit dem subjektiven Ursprung der Religion. Daß er Selbstzweifel hatte, ob er den hohen Forderungen seiner Kunstauffassung gerecht werden könne, wird man nicht als »Haltlosigkeit« bezeichnen können. Freundschaft spielt für Runge eine wichtige Rolle, aber es gibt keinen Anhaltspunkt für die Behauptung, daß sie kompensatorische Funktion hatte. In den Freundschaften mit den Malern Conrad Christian August Böhndel oder Friedrich August von Klinkowström war Runge der Gebende, der natürlich glücklich war, bei diesen beiden für seinen neuen Weg der Kunst Verständnis zu finden. Entscheidender und für Runge höchst fruchtbar war die Freundschaft mit Ludwig Tieck, den er im November 1801 in Dresden kennenlernte. Runge schrieb, er habe noch keinen getroffen, »mit dem das Beste in mir so in eins zusammengestimmt hätte, wie mit Tieck«.[18] Die intensiven Gespräche mit Tieck halfen ihm nach der Ablehnung seiner Arbeiten durch die Weimarer Kunstfreunde, seinen eigenen Weg zu finden und seine Kunstanschauungen zu festigen. Gerade weil er in der Kunst radikal von tradierten Vorstellungen abwich, etwa darin, was Landschaftsmalerei sein kann und soll, brauchte er Freunde als Instanz der Prüfung, Rechtfertigung und Bestätigung. Am wichtigsten war ihm dabei ohne Zweifel der Rat und Zuspruch seines Bruders Daniel. Die Briefe an ihn sind ein einzigartiges, lebendiges Dokument der Ausbildung seiner Kunstanschauung. Das Klischee einer romantischen, emotional übersteigerten Freundschaft wird durch die reichen Quellen zu Runges Leben nicht bestätigt. Es kann absolut keine Rede davon sein, daß seine Freundschaften für ihn >Religionsersatz< waren.

Daß Freundschaften im Leben von Caspar David Friedrich eine entscheidende Rolle spielten, wird man wohl nicht sagen können. Natürlich war auch für ihn der freundschaftliche Verkehr mit gleichgesinnten Künstlern wie Gerhard von Kügelgen, Georg Friedrich Kersting, Carl Gustav Carus oder Johann Christian Clausen Dahl wichtig, doch in seiner le bensführung wie in seinem Schaffen blieb er ein Einsamer. Von >Freundschaftskult< ist in Friedrichs Leben keine Spur zu finden. Kerstings Bilder, die Friedrich in einem kahlen Atelier darstellen, sinnend, mit nach innen gewandten Blick vor der Leinwand stehend, sind ein eindringlicher Spiegel seiner Kunstanschauung. Wie Runge war Friedrich überzeugt, daß der Ursprung der Kunst im Gefühl des Künstlers liegt, daß er der Stimme seines Inneren folgen muß. Kunst zu schaffen hieß für beide, die Ahnung des Metaphysischen aus dem eigenen inneren Gefühl heraus zur Anschauung zu bringen. Wenn das individuelle künstlerische Subjekt so in den Mittelpunkt der Kunsttheorie gestellt wird, kann die frühromantische Konzeption der Freundschaft nur eine sekundäre Rolle spielen.


Freundschaft im Zeichen des heiligen Lukas

Ein ganz anderes Bild von der Bedeutung der Freundschaft bietet sich dar, wenn man auf Lebensgang und Kunstauffassung derjenigen Künstler blickt, denen die Richtung der sogenannten nazarenischen Kunst ihre Entstehung und ihren Erfolg verdankt, auf Friedrich Overbeck, Franz Pforr und Peter Cornelius. Pforr war im Herbst 1805, Overbeck im Frühjahr des folgenden Jahres nach Wien gekommen, um an der dortigen Akademie zu studieren, die unter ihrem Direktor Friedrich Heinrich Füger in ganz Europa ein hohes Ansehen genoß. Die beiden lernten sich im Sommer 1806 kennen. In ihren Briefen haben sie die Geschichte ihrer Freundschaft genau geschildert. Auf die erste Annäherung folgte schon bald eine Phase der Entfremdung. Erst im Herbst 1807 haben sie ihren Freundesbund geschlossen, der bis zum Tode Pforrs am 6.Juni 1812 ihre Lebensführung und ihr künstlerisches Schaffen bestimmen sollte.

Overbeck bekannte in einem Brief an den Vater vom 19. Dezember 1807, daß für ihn mit dieser Freundschaft ein neuer Lebensabschnitt begonnen habe: »[ ... ] das fühle ich vorzüglich jetzt, da ich den Werth eines Freundes, eines gleichgesinnten Herzens habe kennen gelernt, dem man sich ganz anvertrauen kann, in dem man sich selbst wiederfindet, und der das uneingeschränkteste Vertrauen und die aufrichtigste Liebe mit der innigsten Freundschaft und der zuvorkommensten Bereitwilligkeit erwidert. So einen Freund, geliebtester Vater, habe ich vor kurzem gewonnen, mit dem ich sowohl an Alter und Neigung, als an Urtheil und Denkungsart und Geschmack so vollkommen übereinstimme, daß wir beyde, wenn Wir uns unser Herz eröffnen und es uns gegenseitig ganz unpartheiisch vorlegen und sowohl von der bessern als von der schlechtern Seite zeigen, einer in dem anderen uns selbst wiederzusehen glaubt. Es ist wohl unmöglich, daß 2 Menschen sich in allen Umständen, in den größten wie in den kleinsten und unbedeutendsten einander so vollkommen gleichen, als wir uns, und wenn so zwey Menschen zusammentreffen, so kann es nicht anders seyn, sie müssen die wärmsten Freunde werden. [ ... ] Wie wir so lange haben miteinander so nahe leben können, ohne uns zu finden, begreife ich nicht, denn dieses unser Freundschaftsbündnis ist erst 4 Wochen alt. Was dieses in Rücksicht der Kunst für uns beyde für Folgen hat, wird die Zeit lehren. Was zwey Freunde mit vereinten Kräften, indem einer den anderen unterstützt, zu leisten im Stande sind, wollen wir zeigen.«[19]

In gemeinsamen Galeriebesuchen, endlosen Kunstgesprächen und ersten ehrgeizigen Kompositionsversuchen erkundeten sie ihren eigenen Weg. Einig waren sie sich sehr schnell darin, daß das routinemäßige Studium an der Akademie zu nichts führte. »Man lernt einen vortrefflichen Faltenwurf malen, eine richtige Figur zeichnen, lernt Perspektive, Architektur, kurz alles; und doch kommt kein Maler heraus«.[20] Der akademischen Kunst fehlen Herz, Seele, Empfindung«. Wie das Beispiel Raffaels lehrt, kommt es in der Kunst nicht auf äußere Richtigkeit, sondern auf innere Wahrhaftigkeit an. »Wo soll man also dieses unerreichbar Scheinende suchen? - Da wo er (sc. Raffael) es gesucht und gefunden hat - in der Natur und in einem reinen Herzen.« Die Religion und das Studium der Bibel können dem Künstler helfen, die Reinheit seiner Empfindungen zu bewahren.

Die Briefe und Berichte lassen erkennen, daß sich die beiden Freunde von den Mitstudenten absonderten und von ihnen verlacht wurden. Sie fanden ihre Sicherheit darin, daß sie überzeugt waren, ihr Ziel in der künstlerischen> Wahrheit< zu haben und sahen sich auch durch das Beispiel Eberhard Wächters bestätigt, der jedoch Wien bereits verlassen hatte und sie so nicht weiter fördern konnte. Die Zeit der völligen Isolation währte jedoch nur einige Monate. Bald schon fanden sie in Joseph Wintergerst einen Gesinnungsgenossen. Dann schlossen sich Ludwig Vogel, Johann Konrad Hottinger und Joseph Sutter ihrem Kreis an. Vom Juli 1808 an trafen sie sich regelmäßig, um sich Kompositionsaufgaben zu stellen, gemeinsam zu zeichnen und über die Kunst zu sprechen. »Vereint arbeiteten wir jetzt vorwärts nach einem Ziel, durch unsere Zahl mutig gemacht. [ ... ] Wir erhielten jetzt viele Besuche von Künstlern, und die Stimme war ziemlich allgemein, unser Weg sei vortrefllich, doch konnte sich keiner überwinden, mit uns zu gehn. Wir fanden zwar, daß je weiter wir so fortgingen, wir uns immer mehr von den Grundsätzen der Akademie entfernten, dagegen fanden wir, daß wir uns der Art der alten Maler immer mehr näherten ... «.[21]

Den ersten Jahrestag ihrer gemeinsamen Arbeit haben die sechs am 10 .Juli 1809 gefeiert: »Wir unterredeten uns dabei über den jetzigen Zustand der Kunst, lebhaft fühlten wir alle, wie sehr sie gesunken sei, und alle boten wir uns fast zugleich an, was in unseren Kräften liege, zu ihrer Wiederherstellung anzuwenden. Wir gaben uns die Hände und ein Bund war geschlossen, der hoffentlich fest bestehen soll.«[22] Daß dieser Bundesschluß mehr war, als eine momentane Laune, dokumentieren die Diplome ihrer Mitgliedschaft, (Abb. 1a) die sie sich am 25. September gegenseitig ausstellten »Zur beständigen Erinnerung an den Hauptgrundsatz unseres Ordens, die Wahrheit, und an das geleistete Versprechen, diesem Grundsatz lebenslang treu zu bleiben, für sie zu arbeiten mit allen Krätten und hingegen eifrig jeder akademischen Manier entgegenzuwirken ... «.[23] Gleichsam das Siegel des Bundes war ein Kupferstich Overbecks, der den Heiligen Lukas in seiner Zelle darstellt. Auf dem rahmenden Bogen sind die Anfangsbuchstaben der Namen der sechs Mitglieder eingeschnitten. Den Schlußstein des Bogens schmückt ein W, das für >Wahrheit< steht und noch einmal die überragende Bedeutung dieses höchsten Zieles des Bundes unterstreicht.


Die Ideale des Lukasbundes

Der Form und dem Anspruch nach ging die Lukasbruderschaft, wie sie nach dem gewählten >Schutzheiligen< fortan genannt wurde, weit über das Vorbild hinaus, das die Jenaer Romantik mit ihrem Zusammenschluß gegeben hatte. Es wäre auch falsch, darin ein Schutzbündnis nach Art einer Hanse sehen zu wollen, wie Friedrich Schlegel es angeregt hatte.[24] Der in Wien geschlossene Bund entspricht dem Idealtypus des Bundes, wie er im späten 18.Jahrhundert verstanden wurde. Dessen oben angeführte Charakteristika Sendungsbewußtsein, Erlösungshoffnung und Heilserwartung sind hier ganz auf die Kunst ausgerichtet. Die Künstler selbst bezeichneten ihren Bund als »Orden«. Darin spielte zum einen die Assoziation an die Ritterorden mit, die im 18.Jahrhundert noch lebendige Tradition waren. Das zeigt sich beispielsweise daran, daß sie Overbecks Vater zum Ordenskanzler wählten. Sie verstanden ihren Zusammenschluß als einen Kampfbund für die Kunst. Letztlich aber gewann die Assoziation an die religiösen Orden die Oberhand, spätestens seit sie in Rom im aufgelassenen Kloster S. Isidoro Quartier bezogen. Die möglichen Verbindungen, die hier gezogen werden können, sind in der Tat auch vielfältig: Die Abwendung von weltlichem Treiben, die rückhaltlose Hingabe an die gewählte Aufgabe, die Forderung der seelischen Reinheit des Künstlers, die Überzeugung, wenn nicht im Besitz der Wahrheit zu sein, so doch auf dem Weg zu ihr zu sein. All dies nährte ein Sendungsbewußtsein, gleichsam Apostel einer neuen Kunst zu sein. Wie die Apostel Christi wollten sie, wie Sutter schrieb, »in Zukunft den Weltteil Europa zur Bekehrung unter uns verteilen und jetzt schon können wir die für jeden Bruder schicklichen Plätze wählen«, wobei sie sich der zahlreichen Anfeindungen, die sie zu erwarten haben, gewiß sind, »so daß wir uns also darauf gefaßt machen müssen, Märtyrer der Kunst zu werden«.[25] Ferdinand Olivier, der 1817 zusammen mit Schnorr eingeladen wurde, dem Lukasbund beizutreten, schrieb in seinem Dankesbrief, daß er gerne bereit sei, dem Bündnis beizutreten, »wo denn kein Unterschied der Kräfte und kein Grad der Würdigkeit mehr angesehen werden soll, wo alle sich nur als Dienende in dem Tempel einer heiligen und heiligenden Kunst betrachten, und wo nicht sowohl Meister, als vielmehr Jünger des alleinigen Meisters sein zu wollen, der denkbar höchste Standpunkt ist. So sehen Sie uns denn als die Ihrigen, als Freunde und Brüder im geistigen Sinne und - warum scheue ich mich zu sagen - als Eingeweihte an; denn ich würde mich Ihrer nicht würdig erachten, wenn ich unserem Vereine nicht einen heiligen Ernst beimessen und in Ihrer liebevollen Berufung dazu etwas anderes erblicken wollte als eine wirkliche Weihe.[26]

Die Verbindung von Freundschaftsidealen, Kunst und Religion ist für den Lukasbund konstitutiv gewesen. Die Frage ist jedoch, wie diese Verbindung und das jeweilige Gewicht ihrer drei Elemente zu werten ist. Die These Lankheits, daß der romantische Freundschaftsbund Kompensation des Verlustes gesellschaftlicher und religiöser Bindungen gewesen sei, ist im Hinblick auf die Lukasbrüder nicht zu halten. Die religiöse Bindung stand für Overbeck und seine Freunde nie im Zweifel. Daß ihre Freundschaft für sie >Religionsersatz< gewesen sein soll, wie Lankheit ihnen unterstellt, hätten sie weit von sich gewiesen. Die christliche Religion war absolut unbestritten die Grundlage ihres Denkens und Strebens. Auch Lankheits Bewertung ihrer Stellung zur Gesellschaft ist entschieden zu differenzieren. Es zeichnet die Kunstanschauung des Lukasbundes geradezu aus, daß sie dem gesellschaftlichen Auftrag der Kunst eine zentrale Rolle zuweist. Entgegen der generellen Tendenz zur Autonomie der Kunst soll die Kunst wieder in ihre tradierten Bindungen und Aufgaben zurückgeführt werden. Kunst sollte zum Mittel der Volkserziehung werden. Ein Weg dahin war ihr Projekt einer volkstümlichen Bilderbibel. Schon in Wien hatte sich Overbeck mit seiner Idee einer illustrierten Kinderbibel an Pestalozzi gewandt.[27] Die Erneuerung der Freskomalerei, die vor allem von Peter Cornelius propagiert wurde, war eine Hinwendung zu einer öffentlichen Kunst, die unmittelbar auf die Gesellschaft einwirken wollte.[28]


Der romantische Begriff der Kunst

Der entscheidende Dissens zwischen den Anschauungen der Lukasbrüdern und den in der Gesellschaft vorherrschenden Anschauungen lag in der Bewertung der Kunst. Die Kunst war, wie Cornelius es 1814 in seinem programmatischen Brief an Joseph Görres formulierte, »eine feile Dienerin üppiger Großen, eine Krämerin, und niedrige Modezofe« geworden, der »Lügengeist der modernen Kunst« hatte Ziel und Aufgabe »wahrer Kunst« verraten.[29] Die Romantik ist in wesentlichen Teilen als eine Reaktion auf die von der Aufklärung herbeigeführte Krise der Metaphysik zu verstehen und als eine Fortführung des Diskurses über den Begriff .wahrer Kunst«, wie er von Winckelmann, Moritz, Goethe, Schiller und anderen initiiert worden war.

In der Jenaer Frühromantik wurde der Kunst die höchste nur denkbare Bedeutung zugewiesen. Der Philosoph Schelling hat Begriff und Bedeutung der Kunst in seinem >System des transzendentalen Idealismus< von 1800 systematisch entwickelt: »Der Künstler scheint in seinem Werk außer dem, was er mit offenbarer Absicht darein gelegt hat, instinktmäßig gleichsam eine Unendlichkeit dargestellt zu haben, welche ganz zu entwickeln kein endlicher Verstand fähig ist.«[30] Weil die Kunst den Widerspruch zwischen Bewußtem und Unbewußtem aufhebt, absolute Gegensätze vereinigt, ist sie für Schelling .die einzige und ewige Offenbarung, die es gibt« und wegen ihrer völligen Unabhängigkeit von äußeren Zwecken eignet ihr »jene Heiligkeit und Reinheit«, durch die sie auf dem Gipfel aller menschlichen Tätigkeit steht. Damit trat die Offenbarung durch die Kunst in Konkurrenz zur religiösen Offenbarung. Sie ist das legitime Medium der »neuen Mythologie« als einer alles umfassenden und alles erklärenden Religion, von der der junge Friedrich Schlegel träumte. Wo, wie etwa bei Wackenroder, das Gefühl die höchste Instanz metaphysischer Erfahrung war, konnte die Kunstandacht zur religiösen Andacht werden, konnten die großen Künstler als >Mittler< verehrt werden, wie die Heiligen der Kirche.[31]

Man darf nicht den Fehler machen, die Anschauungen von Wackenroder und Tieck undifferenziert mit denjenigen der Lukasbrüder gleichzusetzen. In den >Herzensergießungen< spielen biblische Themen oder christliche Religionsinhalte kaum eine Rolle, so daß man hier nicht zu Unrecht von einer >Kunstreligion< gesprochen hat. Hier erfährt die Kunst ihre höchste Aufwertung durch ihre Sakralisierung, mit der gleichzeitig eine Ästhetisierung der religiösen Empfindens korrespondiert. Das Kunsterleben eröffnet den Weg zum Metaphysischen, nicht die christliche Offenbarung oder der liturgische Ritus. Overbeck hingegen hat nie am christlichen Dogma gezweifelt. Er konnte sich mit der Aussage von August Wilhelm Schlegels Gedicht über den Heiligen Lukas identifizieren, in dem geschildert wird, wie .Sankt Raffael« das von dem Evangelisten nur als »schwacher Umriß« zurückgelassene Bild der Madonna mit ihrem Kind vollendete.[32] Die Lukasbrüder wollten wie Raffael Mittler göttlicher Offenbarung sein.

Mit einem kritischen Blick auf Runge hatte Friedrich Schlegel in seinen >Gemäldebeschreibungen< festgestellt: »Eine Hieroglyphe, ein göttliches Sinnbild soll jedes wahrhaft so zu nennendes Gemälde sein; die Frage ist aber nur, ob der Maler seine Allegorie sich selbst schaffen, oder aber sich an die alten Sinnbilder anschließen soll, die durch Traditionen gegeben und geheiligt sind, und die, recht verstanden, wohl tief und zureichend genug sein möchten.«[33] Für die Lukasbrüder war diese Frage von vornherein beantwortet. Die Wahrheit der christlichen Überlieferung stand für sie außer Frage. Es gab für sie keinen Grund, die Themen, in denen sie das Göttliche darstellen wollten, anderswo als in der Bibel zu suchen. In seiner Rezension von Jacobis Schrift >Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung< hat Schlegel 1812 dargelegt, daß »eine dreifache Art der Offenbarung« anzunehmen sei, nämlich die allgemeine oder metaphysische, die innere und die positive, geschichtliche Offenbarung.[34] Nun ist meine Überzeugung, daß sowohl jene metaphysische Offenbarung, als die Innere des Gefühls, erst durch die dritte positive Offenbarung und den Glauben an sie Haltung, Festigkeit und Zusammenhang gewinnen ... Die Religion des Gefühls aber, bleibt ohne jenen göttlichen Anhalt auch von sehr schwankender, unreifer und schwacher Beschaffenheit ... «. Von dieser Auffassung her mußte die Kunst eines Runge oder Friedrich und ihre »Religion des Gefühls« mit Skepsis betrachtet werden. Die Lukasbrüder hingegen haben ihre Kunst primär auf der »positiven, oder geschichtlichen Offenbarung« des Christentums aufgebaut. Das Gefühl sollte in der gesteigerten Emotionalisierung der Darstellung zu seinem Recht kommen. Der entscheidende Unterschied zu Runge oder Friedrich besteht darin, daß sie ihre Kunst im Dienst der Kirche ausüben wollten.

Die christliche Religion und der höchste Begriff der Kunst waren die tragenden Grundpfeiler des Freundschaftsbundes der Lukasbrüder. Das Freundschaftsideal der Aufklärung lebte in ihrem Bund insofern noch fort, als er eine Vereinigung zur wechselseitigen Förderung war, doch er war weit mehr als das. Die Bundesbrüder waren sich unbeirrbar sicher, daß der von ihnen eingeschlagene Weg zur Wahrheit der Kunst führen würde. Sie verstanden sich als Keimzelle für eine Entwicklung, die in die Gesellschaft hineinwachsen sollte, dies aber zunächst nicht konnte, weil dies verhindert wurde durch die dort noch vorherrschenden Kunstanschauungen des Klassizismus, als deren einflußreichster Hüter die Kunstakademien auftraten. Die Opposition gegen die Akademien zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Überlegungen.[35] Die Überzeugung, daß die Kunst eine durch nichts zu ersetzende Aufgabe für Kirche und Gesellschaft habe, rechtfertigte ihren Anspruch, als Missionare oder Apostel einer Erneuerung der Kunst aufzutreten. Dieser Anspruch wurde von ihnen nicht nur in ihrer Kunst, sondern auch in der Diktion ihrer Schriften und in ihrer Lebensführung vorgetragen. Der Spottname >Nazarener<, der ihnen von den römischen Künstlerkollegen gegeben wurde, war eine ironische Reaktion auf diesen Anspruch.[36]

* Frank Büttner; Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland, Staatliche Graphische Sammlung München. Johann Friedrich Overbeck. Italia und Germania. Kulturstiftung der Länder - Patrimonia, Bd. 224, München 2002, S. 15-23 und Abb.

Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 2)

Bilder als Manifeste der Freundschaft und der Kunstanschauung zwischen Aufklärung und Romantik in Deutschland (Teil 3)


Anmerkungen:

[1] Eckhardt Meyer-Krentler: Der Bürger als Freund. Ein sozialethisches Programm und seine Kritik in der neueren deutschen Erzählliteratur, München 1984, 255 ff Meyer-KrentIer, auf den ich mich im Folgenden wesentlich beziehe, kann manche Verkürzungen und Fehldeutungen des älteren Standardwerkes von W. Rasch zum Thema Freundschaft korrigieren: Wolfgang Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schriftum des 18.Jahrhunderts. Vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock, Halle / S. 1936.
[2] Christian Fürchtegott Geliert, Moralische Vorlesungen, Leipzig r770, (24. Vorlesung), zit. nach Meyer-Krentler (wie Anm. 1), S. 35.
[3] Friedrich Schlegel: Dichtungen (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd.5), München u. a., 1962, S. 77 f.
[4] Meyer-Krentler (wie Anm. I), 5.20.
[5] Meyer-Krentler (wie Anm. I), S.66.
[6] Bettina Baumgärtel: Angelika Kauffmann (I74I-r807). Bedingungen weiblicher Kreativität in der Malerei des r8.Jahrhunderts, Weinheim / Basel 1990, S. 176 ff: »Empfindsamkeit und Freundschaftskult«.
[7] Baumgärtel (wie Anm.6), S. 185 f.
[8] Zu Gleims .Freundschaftstempel. und zur Bedeutung des Porträts im allgemeinen vgl. Roland Kanz: Dichter und Denker im Porträt. Spurengänge zur deutschen Porträtkultur des 18.Jahrhunderts, München 1993, bes. S. 121 - 150.
[9] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. I, München 1987, S. 322 ff.
[10] Alfred KeIletat (Hrsg.): Der Göttinger Hain, Stuttgart 1967, s. 404 ff.
[11] Reinhard Koselleck: Bund (Bündnis, Föderalismus, Bundesstaat). In: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. I, Stuttgart 1972, S. 640.
[12] Wilhelm Heinrich Wackenroder: Sämtliche Werke und Briefe. Historisch- kritische Ausgabe, hrsg. von Silvio Vietta und Richard Little-johns, Heidelberg 1991, Bd. r, S. 86 - 89.
[13] Wichtig in diesem Zusammenhang ist der "Brief eines jungen deutschen Malers" in den "Herzensergießungen," der das in der Folgezeit so wichtige Problem der Konversion zum Katholizismus thematisiert. Autor dieses Briefes ist wohl Tieck, doch dürfte Wackenroder Anteil an dessen Konzeption gehabt haben; vol. Wackenroder (wie Anm. 12), S. 113 - 117 und 342 -345.
[14] Ludwig Tieck: Frühe Erzählungen und Romane (Werke in vier Bänden, hrsg. von M. Thalmann), München 1963, Bd. I, S. 715 -716.
[15] Schlegel: Athenäums - Fragmente, Nr.125 (Schlegel (wie Anm.3), Bd.2, S. 185 ff.). Die Definition der romantischen Poesie als »progressive Universalpoesie« skizzierte Schlegel im Athenäums - Fragment Nr. 116 (ebd. S. 182).
[16] Klaus Lankheit: Das Freundschaftsbild in der Romantik (Heidelberger kunstgeschichtliche Abhandlungen, N. F. Bd. 1), Heidelberg 1952.
[17] Lankheit (wie Anm.16), S.92-96.
[18] Philipp Otto Runge an C. C. A. Böhndel, 7. April 1802, zit. nach: Ph. O. Runge: Hinterlassene Schriften, hrsg. von Daniel Runge, Hamburg 1840, Bd. 2, S. 124.
[19] Friedrich Overbeck an seinen Vater Christian Overbeck, Wien, 19. Dezember I8oJ, zit. nach Brigitte Heise: Johann Friedrich Overbeck. Das künstlerische Werk und seine literarischen und autobiographischen Quellen, Köln – Weimar - Wien 1999, 68 f.
[20] F. Overbeck an den Vater, 27. April 1808, zit. nach Margaret Howitt, Friedrich Overbeck, sein Leben, sein Schaffen, Freiburg 1886, Bd. I, S. 71.
[21] Franz Pforr, Studiumsbericht, zit. nach Franz Herbert Lehr: Blütezeit romantischer Bildkunst. Franz Pforr, der Meister des Lukasbundes, Marburg 1924. S. 41.
[22] Franz Pforr, Studiumsbericht, zit. nach Lehr (wie Anm.2I), S. 41 f.
[23] Diplom der Bruderschaft für Franz Pforr, zitiert nach Lehr (wie Anm. 21), S. 258.
[24] Wie die Kaufleute im Mittelalter so sollten die Künstler jetzt zusammentreten zu einer Hanse, um sich einigermaßen gegenseitig zu schützen« Friedrich Schlegel, Ideen, Nr.I42, zit. nach: F. Schlegel (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 271.
[25] Sutter an Overbeck, Wien, 23.Juni 1813, zitiert nach: Ludwig Grote: Joseph Sutter und der nazarenische Gedanke, München 1972, S. 278f.
[26] Ferdinand Olivier an die Lukasbrüder, Wien, 9. Oktober 1817; zit. nach Ludwig Grote: Die Brüder Olivier und die deutsche Romantik, Berlin 1938, S. 237.
[27] Vgl. Frank Büttner: Die klugen und törichten Jungfrauen im I9.Jahrhundert - Zur religiösen Bildkunst der Nazarener, in: Städel-Jahrbuch, N. F. Bd. 7, 1979, 207 ff.
[28] Frank Büttner: Peter Cornelius -Fresken und Freskenprojekte, Bd. I, Wiesbaden 1980, S. 72 ff.
[29] Peter Cornelius an Joseph Görres, Rom, 3. November 1814, zit. nach: Ernst Förster, Peter Cornelius, Berlin 1874, Bd. 1, S. 15-4.
[30] F. W. J. v. Schelling, Sämtliche Werke, Stuttgart / Augsburg 1856, Bd. 3, S. 619.
[31] Das wird z.B. deutlich in Wackenroders Aufsatz >Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten, und zum Wohle seiner Seele gebrauchen müsse«, in: Wackenroder (wie Anm. 12), Bd. 1, S. 106 ff.
[32] August Wilhelm Schlegel: Der heilige Lucas (1798), zit. nach A. W. Schlegel: Sämtliche Werke, hrsg. von E. Böcking, Leipzig 1846, Bd. 1, S.215 ff.
[33] F. Schlegel (wie Anm. 3), Bd. 4, S. 151.
[34] F. Schlegel (wie Anm. 3), Bd. 8, 444 f. (Über F. H. Jacobi: Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, Zuerst veröffentlicht in: Deutsches Museum, hrsg. von F. Schlegel, Bd.11, Wien 1812): »Die erste ist die allgemeine, vermöge welcher Gott sich in der gesamten Schöpfung und in allen Kreaturen verherrlicht ...«. »Die zweite Art der Offenbarung ist die innere, ... , die sich in der Stimme des Gewissens und im sittlichen Gefühl kund gibt«. »Die dritte Art der Offenbarung endlich ist die positive, im Christenrum gegebene ... Man kann sie im Gegensatz der ersten metaphysischen und der innern moralischen auch die geschichtliche nennen, weil sie auf der geschichtlichen Tatsache der Offenbarung beruht.«
[35] Vgl. Büttner (wie Amn. 28), Bd. 1, S. 62 ff.
[36] Jens Christian Jensen, I Nazareni, das Wort, der Stil, in: Klassizismus und Romantik in Deutschland, Gemälde und Zeichnungen aus der Sammlung Georg Schäfer, Katalog der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 1966, Schweinfurt 1966, S. 46 ff.