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Methode der orthogonalen Projektion - Aarchitekturzeichnung

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Methode der orthogonalen Projektion - Aarchitekturzeichnung

Fritz Bouvier (1893-1957)
2012, oil on canvas, 24×23 cm

Methode der orthogonalen Projektion - Aarchitekturzeichnung

Fritz Bouvier (1893-1957)


Methode der orthogonalen Projektion - Aarchitekturzeichnung

BIBLIOGRAPHIES

 

 

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 1)

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 2)

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 3)

Katharina Krause
Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 4)*

Mit diesen Feststellungen könnte man sich begnügen. Oppenord erschiene so als ein Vorläufer jener französischen Architekten, die im Kreis um Legeay seit etwa den vierziger Jahren des 18. Jahrhunderts Zeichnung als die beste Gelegenheit verstanden, den Ausdruckscharakter von Baukunst zu verwirklichen.[80] Oppenord betätigte sich im Bereich der Phantasiearchitektur,[81] die als Gattung von diesen Architekten besonders gepflegt wurde, nutzte Zeichnung aber vordringlich als ein Mittel zum Entwurf realisierbarer Bauten. Er akzeptierte die Bindung der Zeichnung an die Praxis und sah deshalb im Riß das wichtigste zeichnerische Medium des Architekten. Es ist daher nur konsequent, wenn er in diesen Zeichnungen, und nicht in »vedute di fantasia«, sein Nachdenken über die Position des modernen Architekten in der Geschichte der Baukunst deutlich machte.

Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés.

11. Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés, Entwurf (Paris, Bibliothèque nationale)

Einen ersten Hinweis auf diese Aufgabe der Architekturzeichnung enthält ein weiterer Altarentwurf, eine lavierte Federzeichnung aus dem Konvolut der Pariser Bibliotheque Nationale zu St. Germain-des-Pres (Abb. 11).[82] Der Altar steht frei vor einer bis zum Gebälk der ionischen Pilasterordnung sichtbaren Architektur. Über der Mensa erhebt sich ein großes Tabernakel, vor dessen Tür Putti den Vorhang öffnen. Das Tabernakel dient als Sockel für die Skulpturengruppe einer Engelpied. Zu Seiten des Altars sind Statuen der Hll. Augustinus und Benedikt vorgesehen, die sich der Pied in Verehrung zuwenden. Das Konzept dieses Entwurfs, im Tabernakel ein Grab darzustellen, in das die Engel den Leichnam Christi tragen, hat Oppenord nicht selbst entwickelt. Er übernahm es vom Hochaltar in S. Silvestro in Venedig, den der Bildhauer Heinrich Meyring wohl kurz vor Oppenords Venedigaufenthalt vollendet hatte (Abb. 12).[83]

Heinrich Meyring: Hochaltar aus S. Silvestro / Venedig (Nimis, Pfarrkirche)

12. Heinrich Meyring: Hochaltar aus S. Silvestro / Venedig (Nimis, Pfarrkirche)

Die Funktion der Zeichnung ist nicht leicht zu bestimmen. Es handelt sich gewiß nicht um eine Bauaufnahme nach Meyrings Altar an seinem ursprünglichen Standort in S. Silvestro. Die ionische Ordnung im Hintergrund und die Dekoration der Wände mit Reliefs sind Oppenords eigene Erfindung, in der er Motive aus seinen römischen Skizzenbüchern frei variiert. Das Figurenprogramm stimmt mit Meyrings Aufbau nicht überein. Oppenord kopiert zwar die Form des Tabernakels mit den Voluten und allen Putti getreu, versetzt aber die steifen Skulpturen der Pied in eine kreisförmige Bewegung. Durch die schlaglichtartige Beleuchtung der Gruppe, die er vor die dunkel lavierte Arkade platziert, und die scharfen Kontraste innerhalb des Altaraufbaus arbeitet er das dramatische Konzept heraus, das bei Meyring zugrundeliegt, in der Ausführung dort aber kaum mehr sichtbar ist.

Das Thema der Pieta ist von einem Entwurf für St. Germain-des-Prés bereits bekannt (Abb. 13).[84] In identischer Form sind die Engelpied und der Hl. Benedikt des Entwurfs in einer weiteren, nur im Stich überlieferten Zeichnung für St. Germain-des-Prés belegt, die Meyrings Altar um die Interpretation des Tabernakels als Grab Christi reduziert und um ein schrankenartiges Ziborium erweitert (Abb. 14).[85] Die Zugehörigkeit der vorliegenden Zeichnung zu Oppenords Projekten für St. Germain scheint damit sicher. Auf die Verwirklichung dieses Entwurfs konnte Oppenord aber nicht ernsthaft rechnen. Er mußte wissen, daß St. Germain-des-Prés einen gotischen Chor besaß, in dem sich die hier vorgeschlagene ionische Ordnung nicht einmal als vorgeblendete Architektur ausführen ließ, weil das neue Gestühl unmittelbar vor die Pfeiler gestellt worden war.[86] Es ist daher anzunehmen, daß Oppenord mit diesem Blatt einen Idealentwurf vorlegte, vielleicht um die Gunst des Priors zu gewinnen, bevor er den Auftrag zur Ausarbeitung seiner Projektserie erhielt.

Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés.

13. Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés, Entwurf (Grand Oppenord Nr. LXXVIII)

Die Zeichnung weist eine Eigenart auf. Der Sokkel für die Statue des Hl. Augustinus ist an den Kanten bestoßen, seine beiden unteren Steine besitzen große Sprünge. Die Zeichnung gibt also vor, kein Projekt für einen künftigen Altar zu sein, sondern einen Altar und einen Kirchenraum darzustellen, die trotz der Modernität ihrer Formen alt sind. Man könnte diese Andeutung von Spuren der Vergänglichkeit für eine Spielerei des Zeichners halten, die der »facilite et habilettee« seiner Hand entspringt, oder für einen Vorgriff auf die sich in den nächsten Jahren entwickelnde Gattung des Architekturcapriccios, zu der Oppenord mit einigen Beispielen beitragen wird. Wenn er dann ein verfallenes Grabmal oder Brunnenhaus in einerverwilderten Parklandschaft zeigte,[87] bemühte er sich um die Darstellung einer Vergänglichkeit, in der trotz der Zerstörungen die Monumentalität der Antike gewahrt blieb.

Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés.

14. Gilles-Marie Oppenord: Hochaltar für St. Germain-des-Prés, Entwurf (Grand Oppenord Nr. LXIX)

Oppenords Capricci sind zu ihrem größten Teil perspektivische Ansichten von Bauten in Landschaft. Mit dieser Darstellungsmethode verweisen sie auf die Herkunft des Themas; denn Architektur als Ruine blieb bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Gegenstand von Veduten und Prospekten der Maler.[88] In den Zeichnungen und besonders den Stichpublikationen der Architekten wurden die römischen Ruinen gewöhnlich zu vollständigen Gebäuden oder Gebäudeteilen rekonstruiert und, da man sich um eine korrekt proportionierte Wiedergabe der Architektur bemühte, nach der Methode der orthogonalen Projektion zu Papier gebracht.[89] Wenn in der Regel nicht einmal Ruinen im Riß als Ruine dargestellt wurden, dann ist die Andeutung von noch so geringen Spuren von Verfall, damit vergangener Zeit, in einem Projekt, selbst wenn es sich um einen Idealentwurf handelt, merkwürdig.

Im folgenden möchte ich versuchen, dieses Phänomen in Zeichnungen Oppenords als seinen Beitrag zur Querelle des Anciens et Modernes zu deuten, und zeigen, daß er seine Entwürfe dazu benutzte, die eigene Leistung gegenüber den Alten und den Modernen selbstbewußt herauszustellen. Oppenord hatte während seines Aufenthalts in Italien in der Querelle dezidiert die Partei der Modernen ergriffen. Die alleinige Vorbildlichkeit der Alten, die in Paris seit dem Erscheinen von Charles Perraults »Parallele des Anciens et Modernes « und Claude Perraults Vitruvkommentar erschüttert war,[90] akzeptierte er auch vor den antiken Bauten in Rom nicht mehr.

Gilles-Marie Oppenord: Landschaft mit Vase.

15. Gilles-Marie Oppenord: Landschaft mit Vase (Paris, Bibliothèque nationale)

Mit den Auswirkungen der Querelle auf die Kenntnis der antiken Baukunst mußte Oppenord sich auf eine sehr unmittelbare Weise auseinandersetzen. Wichtiger als die Schriften der Perraults wurde für ihn Antoine Desgodets' Handbuch über die »Edifices antiques de Rome« von 1682.[91] Desgodets war I676 als junger Architekt nach Rom gekommen, um dort im Auftrag der Akademie antike Bauten aufzumessen. Es war das erklärte Ziel seiner Arbeit, die Regeln für die Proportionen antiker Bauten empirisch zu ermitteln und sie zugleich als ein allen Bauten gemeinsames, nachahmenswertes Prinzip zu bestätigen. Vielleicht gerade weil die Empirie die Erwartungen nicht erfüllte und sich ein einziges Prinzip nicht finden ließ, glaubte Desgodets an die Proportionen der antiken Architektur als ein »mystere ... dont on ignore les causes et usages«.[92] Desgodets' Buch konnte dazu dienen, die Autorität der Alten in Frage zu stellen, indem es in den Abmessungen der antiken Bauten eine unerwartete Vielfalt und Regellosigkeit aufdeckte. In seinen Einzeluntersuchungen kam Desgodets zu einem neuen Bild der Bauten; denn sein Grundsatz der »Genauigkeit« brachte ihn nicht nur dazu, die Gebäude exakt aufzumessen, sondern sie auch mit bisher nicht erreichter Konsequenz im Riß so darzustellen, wie sie wirklich aussahen: als halb im Boden steckende Ruinen.[93] Die »Edifices antiques« wurden in Paris sicher nicht nur wegen der in ihnen enthaltenen Kritik an den Autoritäten Serlio und Palladio mit Unbehagen aufgenommen.[94] Die Akademie, in deren Auftrag Desgodets gehandelt hatte, vermied es, aus seinen Messungen Konsequenzen für eine Revision der Antike zu ziehen. Das Mißtrauen, gegenüber den ärgerlichen Resultaten zeigt sich auch darin, daß sie noch in den neunziger Jahren nicht als ein/ait accompli akzeptiert wurden. Damals erteilte La Teuliere als Direktor der römischen Akademie Oppenord den Auftrag, im Rahmen seiner Studien in Rom die von Desgodets angegebenen Zahlen nachzukontrollieren und in Vicenza das dort übliche Fußmaß genau aufzunehmen, in der Hoffnung, so die vielleicht durch falsche Umrechnung entstandenen Diskrepanzen zwischen Palladios »Antichita di Roma« von 1554 und Desgodets »Edifices antiques« auflösen zu können.

Jacques Damery: Vase antique

16. Jacques Damery: Vase antique

Im Gegensatz zu vielen Kollegen bemühte sich Oppenord indes nie darum, an den Diskussionen zu Architekturtheorie und -geschichte mit eigenen Schriften oder Stichpublikationen teilzunehmen.[95] Seine von der Kunstpolitik der Akademie weitgehend unabhängige Position geht daher nur aus den Zeichnungen, zunächst seinen sechs italienischen Skizzenbüchern,[96] hervor. Sie enthalten nur wenige Zeichnungen nach antiken Motiven, meistens nach Grabaltären und anderen Reliefs, die Oppenord wegen ihres Dekors interessierten und deren fragmentarischen Charakter er betont.[97] Antike Bauten nahm er nicht auf. Das erschien ihm wohl nach Desgodets' Bemühungen, die er mit diesem Übergehen der antiken Gebäude indirekt bestätigt, überflüssig.[98] Statt dessen zeichnete er vor allem nach den Modernen, nach Bernini, Borromini und Carlo Fontana. Wie u. a. der Idealentwurf für St. Germain-des-Prés belegt, ließ er auch weniger berühmte Zeitgenossen nicht aus. Die frühen Klassizisten des 18. Jahrhunderts, besonders Charles-Nicolas Cochin, sahen in Oppenord einen der Urheber allen Übels, da er den guten Geschmack durch seine Abkehr von den Alten verdorben habe.[99] So einfach, wie Cochin es darstellte, war Oppenords Verhältnis zur Antike nicht. Ganz mochte auch er nicht auf ihre Vorbild haftigkeit verzichten, wie die entsprechenden Seiten aus den Skizzenbüchern belegen. Die Antike blieb für ihn ein Maßstab, auf den er seine Entwürfe bezog; ihre Monumentalität sollte zum Thema für seine Architekturphantasien mit antikisch-modernen Mischformen werden.

In einem Sammelband der Bibliotheque nationale in Paris mit »vedute di fantasia« hat sich eine Zeichnung erhalten, die nach Stil und Thema während der italienischen Zeit des Künstlers oder bald danach entstanden sein muß (Abb. 15).[100] Ein Haus, ein lichter Pinienhain, ein abgebrochener Obelisk, die nur halb sichtbare Fassade eines ionischen Tempels, das Meer mit Segelbooten im Hintergrund sind - nicht ohne Mißgeschick im Vorund Hintereinander - zum Bild einer mediterranen Landschaft zusammengefügt, wie man es aus Gemälden des 17. Jahrhunderts kennt. In dieser Landschaft steht eine haushohe, schlanke Vase, die durch ihren Dekor mit einer Maske, Festons und Akanthus als antik ausgewiesen ist. Ein Wanderer hat vor dieser Vase Halt gemacht, er blickt zu ihr auf und breitet staunend die Arme aus. Diese Zeichnung ist nicht ironisch gemeint. Sie nimmt Elemente aus Stichserien auf, die antike oder neu erfundene Vasen als großformatige, das ganze Blatt ausfüllende Vorlagen verbreiteten. Jacques Damery war 1657 wohl einer der ersten Ornamentstecher, der die Vasen monumental in den Vordergrund einer Landschaft plazierte (Abb. 16).[101] Seine Serie enthält nur eigene Entwürfe, sie heißt aber »Vases antiques«. Dementsprechend stehen die großen Gefäße vor einer antikischen Landschaft. Die Staffagefiguren geben den Maßstab für die Monumentalität der Vase ab, sie sind in antikischer Nacktheit oder Gewandung dargestellt und verstärken so den im Titel der Serie benannten Anspruch des Stechers: Eigenes, Modernes, als antik zu verkaufen.[102]

Stefano della Bella: Cosimo III. zeichnet die Medicivase

17. Stefano della Bella: Cosimo III. zeichnet die Medicivase

Oppenords Vase will keine Vorlage sein. Sie füllt das Blatt nicht aus und kann daher aus der umgebenden Landschaft ihre Größe beziehen. Der Wanderer ist kein Zeitgenosse der Vase, sondern ein Moderner. Er kontempliert nicht, wie es die Alten vor der Pseudo-Antike Damerys oder Cosimo III. als Moderner vor der echten Antike der Medici-Vase bei Stefano della Bella tun (Abb. 17),[103] sondern reagiert aktiv in seiner Überraschung. Aus der Zeichnung spricht eine unbefangene Haltung vor der Antike, die das große Selbstbewußtsein des jungen Architekten erkennen läßt. Von Füßlis Verzweiflung des Künstlers vor der Größe der Antike hat die Zeichnung nichts.[104]

Damerys Absicht war es, die eigenen Erfindungen als Antiken auszugeben, indem er sie in eine antikische Umgebung versetzte und mit einer gewissen Inkonsequenz auf einigen Blättern so zeigte, wie man Antikes vor allem aus Veduten kannte: Mit eben den Altersspuren - Sprüngen und angestoßenen Kanten - am Sockel, die Oppenord dem Sockel seines Hl. Augustinus im Entwurf für St. Germain-des-Pres geben sollte. Wahrscheinlich verfolgte Oppenord mit der Übernahme dieses Tricks in die Architekturzeichnung dasselbe Ziel. Er versuchte, seinen Entwurf, der in den Motiven ganz auf Modernem beruhte und zudem einen christlichen, also gewiß nachantiken Altar zeigt, im Wert der antiken Architektur anzugleichen. Angestoßene Kanten und Sprünge im Stein erhielten demnach die Aufgabe, nobilitierend auf das Altertum zu verweisen. Oppenord mutete nun dem Auftraggeber zu, das Abstraktionsniveau der Architekturzeichnung, das in der Methode der orthogonalen Projektion angezeigt war, zu erkennen und dargestellte Schäden nicht als künftigen Verfall eines noch nicht existenten Werks zu lesen.[105] Er nahm also im Medium der Zeichnung für sich selbst in Anspruch, was Serlio 1540 nur Bramante zugestanden hatte, als er ihn in den Holzschnitten im dritten Buch seines Traktats unter die Alten aufnahm, ohne aber Bramantes Tempietto als ruinös und ebenso gealtert wie das Kolosseum darzustellen.[106]

Gilles-Marie Oppenord: Salon des Palais Royal.

18. Gilles-Marie Oppenord: Salon des Palais Royal, Entwurf (Privatbesitz)

Indes war Oppenord in der Anwendung seiner zeichnerischen Mittel inkonsequent. 1718-21 baute er für den Regenten Philippe d'Orleans im Palais Royal in Paris einen doppelgeschossigen Salon, der als Kopfraum zweier Enfiladen besonders stattlich ausfallen sollte und daher über Jacques Lemerciers Straßenflucht von ca. 1648 hinausragte.[107] Für diesen Salon sind zwei Präsentationsrisse überliefert. Der Aufriß zur Rue de Richelieu zeigt, wie Oppenords neuer Salon auf einer eleganten, weit gespannten Trompe in die Straße hinausragt (Abb. 18).[108] Die Mauern der alten Bauteile sind mit so vielen Schäden am Stein und bröckelndem Putz dargestellt, daß die neue kühne Konstruktion in ihrer Unversehrheit davon deutlich absticht. Dieselbe Kennzeichnung von alten Quadern und neuer Architektur enthält auch der Schnitt (Abb. 19).[109] Er führt zugleich die weniger elegante, aber realisierbare Lösung vor, nach der der Erker auf Konsolen und dicken Balken in die Straße hinausgebaut wurde.

So baufällig, wie es hier aussieht, war dieser Teil des Palais Royal nach den etwa 80 Jahren seines Bestehens gewiß nicht. Ein unbefangener Betrachter oder ein kritischer Architekt hätte sogar fragen können, wie Oppenord sich die statische Sicherheit seines zweigeschossigen Aufbaus auf Mauern in so desolatem Zustand vorstellte. Als Vedute des Palais Royal waren diese Risse aber nicht angelegt. Sie sollten vielmehr gegenüber dem Regenten die Qualität des Neuen im Vergleich zum Alten besonders deutlich hervorheben und damit eine der Hauptaufgaben der Präsentationszeichnung, den Auftraggeber zu überzeugen, erfüllen. Darüberhinaus wird sichtbar, daß Oppenord jetzt im Bewußtsein eigener Fähigkeiten Modernes, nämlich Jacques Lemerciers Palais Royal, mit denselben zeichnerischen Kunstgriffen wiedergab, die er sonst vor allem in seinen Capricci auf Antikes oder Pseudo-Antikes anwendete. Angestoßene Kanten und Sprünge im Stein haben jetzt weniger verweisenden als abbildenden Charakter. (Pseudo-)Antikes und Modernes werden so als gleichermaßen Vergangenes beschrieben, von dem sich das eigene Projekt optimistisch abhebt.[110]

Gilles-Marie Oppenord: Salon des Palais Royal.

19. Gilles-Marie Oppenord: Salon des Palais Royal, Entwurf (New York, Cooper-Hewitt Museum)

Oppenord hatte als Architekt dieses Insistieren auf der eigenen Leistung nötig, denn er war ein schlechter Statiker. Der Salon des Palais Royal hielt zwar auf seinen Konsolen, die aber im Vergleich zu den großen stereometrischen Kunststükken anderer französischer Architekten keine glückliche Lösung waren.[111] Die doppelgeschossige Galerie des Hotel Crozat brach 1725 zusammen, und 1731 mußte der Vierungsturm von St. Sulpice abgerissen werden, bevor er die Gewölbe der Kirche zum Einsturz brachte.[112] Oppenord war einer der ersten Architekten des 18. Jahrhunderts, die keine Ausbildung auf dem »chantier« erfuhren, dafür aber an der Académie studierten. Dennoch verstand er sich selbst als Architekt im Sinne des Baumeisters und erhielt als solcher seine Aufträge. Zugleich schöpfte er die Möglichkeiten der Architekturzeichnung, ihrer graphischen Techniken und ihrer Darstellungsmethoden, deren traditionelle Anwendung er zunächst gelernt hatte, weiter aus als nur zur Präsentation von Bauprojekten. Er hatte erkannt, daß Entwurfszeichnungen im Werk eines Architekten neben ihrer Ausrichtung auf das Bauen eigenen Wert besitzen konnten.

Die zeichnerischen Fähigkeiten Oppenords konnten die Zeitgenossen, die seine Mißerfolge im Bauen miterlebten, nicht recht würdigen. 1725 amüsierte man sich über die Geschwindigkeit, mit der der Zahn der Zeit an Oppenords Bauten seine Spuren hinterließ. Zum Einsturz im Hotel Crozat sagt ein Pamphlet:

Un riche et noble cabinet
Sur un fondement si solide,
Que le temps, ce glouton avide,
N'a pas attendu les dix ans
Pour lui faire sentir ses dents.[113]

Erst gegen Ende des Jahrhunderts hatte sich in Frankreich der Architekt als Zeichner etabliert, konnten Architektur und Zeichnung ein und dasselbe sein. 1787 schrieb Dezallier d'Argenville in seinen Viten berühmter Architekten über Oppenord: »On estime fort ses dessins a la plume et a l'encre de la chine: ils ont fait seuls sa grande reputation. Leur touche hardie et seduisante empechoit qu'on ne s'aperçût qu'ils ne faisoient plus le meme effet dans l'execution. L'auteur en etoit tres-jaloux, et savoit en tirer un fort bon parti«.[114]

* Katharina Krause; Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700, Zeitschrift für Kunstgeschichte 53, 1990, S. 80-88.


[80] Vgl. Bruno Reudenbach: G. B. Piranesi. Architektur als Bild. Der Wandel der Architekturauffassung des 18. Jahrhunderts, München 1979, bes. 72ff.; Piranese et les francais, Paris 1978.
[81] Sammelband BN, Est. Hd. 11; Linfert 1931 (wie Anm. 5), Taf. 26-28.
[82] BN, Est. Va 269b, fonds de Cotte Nr. 1887.
[83] S. Silvestro wurde 1839 durch einen Neubau ersetzt. Der Altar befindet sich heute in der Pfarrkirche von Nimis bei Udine. G. Semenzato; La scultura veneta del Seicento e dei Settecento, Venedig 1966, 28f., 92 und Abb. 37.
[84] BN, Est. Va 269b, fonds de Cotte Nr. 1885, außerdem Grand Oppenord (wie Anm. 62), Taf. LXXVIII.
[85] Grand Oppenord (wie Anm. 62), Taf. LXXIX.
[86] Vgl. Anm. 8.
[87] BN, Est. Hd. II; Linfert 1931 (wie Anm. 5), Taf. 26c-d.
[88] Einen Überblick geben: John Dean Bandiera: The Pictorial Treatment of Architecture in French An 1731-1804, Diss. New York 1982; Huben Burda: Die Ruine in den Bildern Huben Robens, München 1972.
[89] Hubertus Günther: Das Studium der antiken Architektur in den Zeichnungen der Hochrenaissance, Tübingen 1988, 37ff.; 317ff.
[90] Der Parallele erschien 1688, der Vitruv 1673, in einer zweiten Auflage 1684. Zur Querelle vgl. H. R. Jauss: Asthetische Normen und geschichtliche Reflexion in der Querelle des Anciens et Modernes, in CharIes Perrault: Parallele des Anciens et des Modernes en ce qui regarde les arts et les sciences, München 1964: zu ihrem Einfluß auf die Architekturtheorie vgl. A. Hernandez: Grundzüge einer Ideengeschichte der französischen Architekturtheorie von 1500-1800, Diss. Basel 1972, 54ff.
[91] Antoine Desgodets: Les Edifices antiques de Rome dessines et mesures tres exactement, Paris 1682, 21697: Wolfgang Herrmann: Antoine Desgodets and the Academie Royale d'Architecture, The Art Bulletin 40, 1958, 23-53.
[92] Desgodets 1682 (wie Anm. 91), Preface (nicht paginiert).
[93] Z. B. Bacchustempel (S. Costanza, 66f.), Titusbogen (178f.).
[94] Zur verzögerten Rezeption der »Edifices antiques« vgl. Herrmann 1958 (wie Anm. 91), 28ff.
[95] Correspondance 1887 (wie Anm. 55), Bd. 2, S. 234f., S. 239f., S. 390.
[96] Folgende Skizzenbücher sind zur Zeit bekannt: - Berlin, Kunstbibliothek, OZ 81. Berckenhagen 1970 (wie Anm·79), II9ff., schreibt das Skizzenbuch mit Ausnahme später eingeklebter Blätter (Zeichnungen von Carlo Maratta und einem nicht identifizierten italienischen Architekten) sowie einiger Zeichnungen, die Oppenord auf leere Seiten hinzugefügt habe, Franccois d'Orbay zu. Innerhalb der stilistisch einheitlichen Gruppe, die Berckenhagen für d'Orbay beanspricht, enthält das Buch Zeichnungen nach römischen Monumenten, die erst nach d'Orbays Romaufenthalt (1659/ .60) entstanden (z. B. f. 17/18, Taufkapelle in St. Peter mit Arbeiten Carlo Fontanas von 1695). Für eine Zuschreibung dieser Zeichnungen an Oppenord spricht: Das Buch war nachweislich in seinem Besitz. Die Auswahl der aufgenommenen Objekte stimmt mit anderen Skizzenbüchern von seiner Hand überein. Einige Skizzen wurden von Huquier im Petit Oppenord gestochen (Berckenhagen 122). Der Zeichenstil von dünnem Lineament mit blasser Lavierung findet sich auch nach Oppenords Italienaufenthalt noch in seinen Entwürfen, z. B. BN, Est. 254a, fonds de Cotte 2220, Kimball 1943 (wie Anm. II), Abb. 104
- Berlin, Kunstbibliothek, OZ 90 (Berckenhagen 1970, 164f.)
- New York, Cooper-Hewitt Museum, Inv. Nr. 1960 101,1-62; R. P. Wunder: The Architect Eye, The Cooper-Hewitt Museum Chronicle 3, Nr. 4, Sept. 1968, 18, Nr. 48.
- Paris, Louvre, R. F. 35698 (wie Anm. 65)
- Stockholm, Nationalmuseum, Inv. Nr. 89: 4: A, Kimball 1943 (wie Anm. II), 91, Anm. 107
- ehemals Lyon, Sammlung Abbe Chagny; amerikanischer Privatbesitz, Kimball 1943 (wie Anm. H), ebenda)
- außerdem: Petit Oppenord, Gabriel Huquier: Livre de fragmens d' architecture recueillies a Rome.
[97] Z. B. im Skizzenbuch des Louvre (wie Anm. 65), f. H, 13, 15.
[98] Ähnlich ging schon Robert de Cotte vor, als er sich 1689 in Rom aufhielt, Bertrand Jestaz: Le Voyage d'Italie de Robert de Cotte. Etude, edition et catalogue des dessins, Paris 1966, 183, 210.
[99] Charles-Nicolas Cochin: Lettre a M. I'Abbe "."." .... , Mercure de France, Febr. 1755, 153f.
[100] BN, Est. Hd. H, fonds de Cotte Nr. 1888. Das Blatt ist von fremder Hand falsch datiert und lokalisiert: »Lugduni 1698«. Oppenord hielt sich 1698 noch in Italien auf.
[101] Werner Oechslin / Oskar Bätschmann: Die Vase, Zürich, 1982, Nr. Nr. 173a-e. Die Serie stammt aus den 50er Jahren des 17. Jahrhunderts.
[102] Der im Zwiespalt von Titel, Landschaft und Staffage sowie der Vase als Gegenstand eines ornamentalen Vorlageblans angelegte Wettstreit mit der Antike ist bei Oechslin 1982 (wie Anm. 101), 148ff. und Nr. In, nicht verstanden. Auf diese Art des Wetteiferns verzichten Jean Lepautres Vasenserien »a la Romaine« (Nr. 180), »invente de nouveau« (Nr. 182) oder Fischer von Erlachs Vasen aus dem »Entwurff einer Historischen Architektur « (Nr. 186) mit ihren Hintergründen aus moderner (Garten-)Architektur.
[103] Oechslin / Bätschmann 1982 (wie Anm. 101) Nr. 228. Das Blatt entstand 1656.
[104] Gert Schiff: Johann Heinrich Füssli 1741-1825, Zürich 1973, Nr. 665; zum Bedeutungswandel der Ruinen vgl. Burda 1967 (wie Anm. 88), 10ff., unter Bezug auf die Querelle Reudenbach 1979 (wie Anm. 80), 12ff., S. 60ff.
[105] Mir ist nur ein Beispiel dafür bekannt, daß ein Architekt seine eigenen und antike Bauten (bzw. Rekonstruktionen) gleichermaßen mit der Wiedergabe von Bauschäden veröffentlichte und so eine Angleichung vornahm: Andrea Palladios Rekonstruktionen antiker Bauwerke in Daniel Barbaros Vitruv (1556, vgl. E. Forssman: Palladio e Daniele Barbaro, Bollettino del Centro internazionale di Studi di architettura Andrea Palladio 8, 1966, 68ff.) und Rekonstruktionen sowie eigene Villenentwürfe in den Quattro libri dell'architettura 1570 (z. B. Buch II, 32: Deli' Atrio testugginato; 68: Villa Sarego in Miega) Die Vorlagen für die Holzschneider enthalten keine Darstellung von Bauschäden (zur Entstehung der Quattro libri vgl. E. Forssman, in: A. Palladio: I quattro libri ... , ND Hildesheim 1979, XVff.). In gezeichneten Präsentationsrissen findet sich die Darstellung des nicht als Ruine geplanten Baus als Ruine bei William Chambers: Mausoleum für den Prinzen von Wales 1751/52 (London, Victoria and Albert Museum) und York House 1760, London, Royal Institute of British Architects; vgl. John Harris: Le Geay, Piranesi and international Neoclassicism in Rome, 1740-1750, Festschrift Rudolf Wittkower, London 1967, Bd. I, 195f., Abb. 34; RIBA, London, Catalogue of Drawings Collection, London 1972, Abb. 10.
[106] Sebastiano Serlio: II terzo libro ... nel qual si figurano, e descrivano le antiquita di Roma, Venedig 1540, Günther 1988 (wie Anm. 89), Abb. 31.
[107] Palais Royal 1988 (wie Anm.76), 13, 62f.; f. Kimball: Oppenord au Palais Royal, Gazette des Beaux Arts VI, 15, 1936, 113-117.
[108] Ellevation de la face exterieure du Sallon sur la rue de Richelieu, Privatbesitz; Palais Royal 1988 (wie Anm. 76), Nr. 43, 71f.
[109] Coupe du Salon d'alignement a l'Enfilade du grand Appartement du Palais Royal, New York, Cooper-Hewitt Museum, Kimball 1936 (wie Anm. 107), Abb. 2.
[110] Oppenords Selbstbewußtsein gegenüber den Autoritäten unter den Modernen wird auch in einer Srudie für ein Kapitell deutlich, die durch eine Beischrift erläutert ist: "Compose Selon Scamozzi et moy dont je me sert [!] ordinairement« (Paris, Ecole des Beaux-Arts, Couzy 1972 (wie Anm. 78) 104, Abb. 8). Einen sehr viel systematischeren Vergleich zwischen alter, moderner und zeitgenössischer Architektur werden Fischer von Erlach im "EntwUrff einer Historischen Architekrur« (1721) und Meissoiiier in den Übersichtstafeln seines "Parallele general des edifices considerables depuis les egyptiens, les grecs, jusqu'a nos derniers modernes« vornehmen, Dorothea Nyberg (Hg.): Oeuvre de juste Aurele Meissonmer, New York 1969, 29ff.
[111] AnatoIe de Montaiglon (Hg.): Brevets de la Calotte relarifs ... a I'archirecre Gilles-Marie Oppenord, Archives de I' An francais, 2e serie 2, 1862, 90ff.
[112] Huard 1928 (wie Anm. Il), 31#., zu St. Sulpice auch: E. Malbois: Oppenord er l'eglise Saint-Sulpice, Gazette des Beaux Ans VI, 9. 1933. 34-46; Couzy 1972 (wie Anm. 78), 102ff.
[113] Montaiglon 1862 (wie Anm. m), 91.
[114] Dezallier d'Argenville 1787 (wie Anm. 53), 439.