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Konventionen der Architekturzeichnung

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Konventionen der Architekturzeichnung

Doris Weinhandel (1984-1986)
2012, oil on canvas, 26×23 cm

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Konventionen der Architekturzeichnung

Doris Weinhandel (1984-1986)


Konventionen der Architekturzeichnung

BIBLIOGRAPHIES

 

 

Katharina Krause
Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 1)*

»L'architecture et le dessin ne sont qu'une même chose«, sagt Charles Le Brun 1672 in einer Rede vor der Académie de Peinture et de Sculpture in Paris. Mit diesem Satz erkennt er die Bedeutung an, die die Zeichnung in der Architektur seiner Zeit im Prozeß des Entwerfens gewonnen hat. In der Planung für Innendekorationen, die großer zeichnerischer Fähigkeiten bedürfe, sieht er eine Hauptaufgabe der Architekten.[1] Das Argument, mit dem Le Brun die Gleichsetzung von Zeichnung und Architektur begründet, läßt ahnen, daß ihm die Problematik der Architekturzeichnung als eigene Gattung entgeht. Als Maler erinnert er seine Kollegen daran, daß das Zeichnen-Können die Maler und Bildhauer in Italien zu Architekten habe werde lassen. Damit macht er die Architekten als zeichnenden Berufsstand überflüssig.

Pierre Bullet: Hochaltar für St. Germain-des-Prés.

1. Pierre Bullet: Hochaltar für St. Germain-des-Prés, Entwurf (Stockholm, Nationalmuseum)

Über diese Feststellungen Le Bruns hinaus konnten Bauzeichnungen außerhalb der Fachkreise der Architekten nur wenige zusätzliche Aspekte abgewonnen werden. In jüngster Zeit wurden sie gerne als Belege für die Kreativität und den Schaffensprozeß der Architekten beachtet. Das hat einen Grund sicher darin, daß Architekten des 20. Jahrhunderts die Zeichnung, gerade auch die eigenhändige Zeichnung, als reizvolle Aufgabe und als Chance sehen, Architektur als Baukunst zu legitimieren. Das Interesse konzentriert sich daher häufig auf die Skizze, das Schaubild oder den Idealentwurf, während Zeichnungen aus der Baupraxis als mechanisch wiederholbare, von subalternen Bauzeichnern ausgeführte Blätter nicht berücksichtigt werden.[2] Diese Haltung schließt ein Verständnis für die zeichnerischen Probleme barocker Risse in Frankreich aus, denn aus dem 17. und 18. Jahrhundert haben sich hier nur wenige Skizzen und eigenhändige Reinzeichnungen von Architekten, dafür aber um so mehr vom Personal eines Baubureaus ausgearbeitete Präsentationsrisse erhalten. Sie sind daher einzig als Dokumente über nicht mehr existente Bauten oder Quelle für Etappen in komplizierten Baugeschichten benutzt worden. Dieser Umgang mit barocken Architekturzeichnungen setzt jedoch nur das Verhalten der Zeitgenossen fort. Im Gegensatz zu Zeichnungen von Malern und Bildhauern wurden Architekturzeichnungen im 17. und 18. Jahrhundert nicht gesammelt, es sei denn von den Architekten selbst. Dann wurden sie aber nur in das eigene Archiv eingeordnet und dienten als Vorlagen und Anregungen für künftige Projekte. Die umfangreichsten Sammlungen französischer Architekturzeichnungen, aus denen ich im Folgenden einen Großteil der Beispiele beziehe, entstanden auf diese Weise. Es handelt sich um das Planarchiv der Bâtiments du Roi und den damit verbundenen Nachlaß der Architektenfamilie de Cotte[3] sowie den großen schwedischen Bestand, dessen Grundstock Nikodemus Tessin legte.[4] Tessin erwarb bei seinem Aufenthalt in Paris zahlreiche Zeichnungen, kopierte sie oder ließ sie kopieren. Dieses Verfahren, eine Musterkollektion anzulegen, zeigt deutlich, daß Tessin nicht an der Art der Darstellung, sondern an der dargestellten Architektur interessiert war.

Pierre Bullet: Champs-sur-Marne, Entwurf der Gartenfassade.

2. Pierre Bullet: Champs-sur-Marne, Entwurf der Gartenfassade (Stockholm, Nationalmuseum)

Es hatte also eine gewisse Berechtigung, daß Carl Linfert nur Idealentwürfe behandelte, die Zeichnungen aus der Baupraxis, also das Gros des erhaltenen Materials aber ausließ, als er I93I versuchte, Eigenschaften französischer Architekturzeichnungen in Abgrenzung von Handzeichnungen der Maler beschreibend zu definieren.[5] Linfert hatte von vornherein ausgeschlossen, daß diese Zeichnungen in der Auseinandersetzung mit dem Anspruch des Auftraggebers und den Bedingungen der Baupraxis eigene, fertige Lösungen bieten könnten. Er hatte sich daher vorschnell der Aufgabe entledigt, Konventionen der Bauzeichnung festzustellen, bevor er Idealentwürfe und Capricci als die einzig interessanten, weil von allen äußeren Zwängen gelösten Zeichnungen der Architekten betrachtete.

Für eine Geschichte der französischen Bauzeichnung muß man daher auf die wenig systematischen, aus der Architekturpraxis des späten 18. Jahrhunderts hervorgegangenen Notizen zurückgreifen. 1801 faßte Quatremère de Quincy die Aufgaben von Projektzeichnungen und die Entwicklung ihrer darstellerischen Techniken für die Encyclopédie méthodique zusammen: »On voit que la plûpart des anciens dessins d'architecture n'étoient que de simples traits à la plurne, hachés ou lavés légèrement au bistre. Les modernes architectes semblent avoir fait un art particulier de dessiner l'architecture ... Je ne prétends pas au reste attaquer ce mérite de fini dans les dessins, quoiqu'à vrai dire, le fini des dessins d'architecture consiste dans la puréte du trait, la fidélité des mesures et la précision des proportions. Je me contente de remarquer que ce merite ne constitue pas celui de l'architecture, et qu'on peut faire sans une si grande propreté de lavis, ou sans le pittoresque, et l'effet de clairs ou des ombres nuancées, comme dans un tableau, d'aussi bons dessins d'architecture et aussi pro Prés á l'objet principal auquel on les destine, qui est l'execution.«[6]

Die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der »malerischen« Zeichnung ist also eine Konstante in der Diskussion des 17. und 18. Jahrhunderts. Wie der Maler Le Brun betont Quatremère, der wenigstens gelegentlich als Architekt dilettierte, die Rolle der Zeichnung im Entwurfsverfahren. Er vermeidet aber die Gleichsetzung von Zeichnung und Architektur und beharrt auf der Ausführung, d. h. auch der Ausführbarkeit, der Projekte. Als Grund für die Entwicklung vom mit der Feder gezeichneten Riß der »Alten« zu aquarellierten Entwurf, den er in seiner pittoresken Variante des späten 18. Jahrhunderts kennengelernt hatte, nennt Quatremère die Arbeitsteilung im Bauwesen in »invention« und »exécution«. Hier trifft er die Selbsteinschätzung der Architekten und ihre Abgrenzung von Ingenieuren und Bauunternehmern.[7] Er vergißt jedoch den Adressaten der Zeichnungen, den Bauherrn, der die »exécution« des Projekts veranlaßt.

Jules Hardouin-Mansart / Pierre Lepautre: Hochaltar für St. Germain-des-Prés.

3. Jules Hardouin-Mansart / Pierre Lepautre: Hochaltar für St. Germain-des-Prés, Entwurf (Paris, Bibliotheque nationale)

Im folgenden soll untersucht werden, welche Konventionen für die Wahl bestimmter Darstellungsmethoden oder graphischer Mittel ausschlaggebend waren. Präsentationsrisse sollen einmal nicht als Dokumente für Architekturprojekte gelten, sondern nach dem Anspruch befragt werden, den die Architekten und die Bauherren an das Medium Architekturzeichnung stellten.

Es bietet sich an, an dem Punkt einzusetzen, an dem die von Quatremère genannten Zeichentechniken der Alten und Modernen nebeneinander existieren, in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts. Als Beispiel sollen die Projekte für den Hochaltar von St. Germain-des-Prés dienen, der 1705 geweiht wurde.[8] Dem Bau dieses Altars, eines sechssäuligen Ziboriums nach Entwurf von Gilles- Marie Oppenord, war eine längere Phase der Planung vorausgegangen, während der sich der zuständige Prior Arnoul de Loo über eine »infinite de contradictions« hinwegzusetzen hatte, De Loo scherte sich nicht um das »eitle Geschwätz« der Leute, wie es in seinem Nachruf heißt, sondern beriet sich mit den »plus habiles gens du metier«,[9] die ihm zwischen vermutlich 1689 und 1703 Entwürfe vorlegten, Aus den erhalten gebliebenen Zeichnungen erfährt man, wen de Loo für die fähigsten Architekten seiner Zeit hielt: Er befragte wohl zuerst Pierre Bullet, der sich zusammen mit seinem Sohn Jean-Baptiste große Reputation im Bau von Privathäusern erworben und den Margaretenaltar in St. Germain-des-Prés errichtet hatte.[10] Dann wandte er sich an den Surintendant des Bâtiments und Premier Architecte du Roi Jules Hardouin-Mansart und dessen Mitarbeiter in den Bâtiments.[11] Erst als sich Bullets und Mansarts Projekte als nicht realisierbar erwiesen, erhielt der bisher völlig erfolglose Oppenord den Auftrag.[12]

An den Projekten für St. Germain-des-Prés werden also drei typische Organisationsformen im französischen Baubetrieb um die Wende zum 18. Jahrhundert sichtbar. Beteiligt waren das kleine unabhängige Baubureau mit Pierre Bullet, das nach Ausweis der Zeichnungen als ein Zwei-Mann- Betrieb von Vater und Sohn funktionierte; die große und mächtige Behörde der Bâtiments du Roi, in der sich ein arbeitsteiliges Entwurfsverfahren entwickelt hatte und sich die leitenden Architekten zur Ausarbeitung der Pläne immer der Bauzeichner bedienten; und schließlich der Anfänger Oppenord, der über kein Bureau verfügte, sondern alles selbst zeichnete. Unter diesen Voraussetzungen leisten die Projekte für St. Germain-des-Prés Gewähr für einen einigermaßen repräsentativen Überblick über die Möglichkeiten der Architekturzeichnung des ausgehenden Siede de Louis XIV. Die Zeichnungen liegen in den großen Sammlungen von Stockholm und Paris. Sie stammen also nicht aus dem Archiv des Klosters, sondern waren im Besitz der Architekten verblieben. Es handelt sich daher wohl nicht um die letzten, dem Prior vorgelegten Entwürfe, sondern um Studien, die allerdings sorgfältig ausgeführt sind und dem Stadium von Präsentationsrissen nahe kommen.

Jules Hardouin-Mansart / Pierre Lepautre: Versailles, Salon d'Hercule.

4. Jules Hardouin-Mansart / Pierre Lepautre: Versailles, Salon d'Hercule, Entwurf, Ausschnitt (Paris, Archives nationales)

Bullets Entwurf (Abb. 1) zeigt einen Baldachinaltar zwischen den östlichen Vierungspfeilern der Kirche.[13] Die Zeichnung gibt den Altar und die umgebende gotische Architektur in orthogonalem Aufriß wieder, dem im unteren Viertel des Blatts der Grundriß zugeordnet ist. Eine Skala fehlt. Statt dessen ist ein Mönch dargestellt, der eine ungefähre Vorstellung von den Größenverhältnissen vermittelt. Das Blatt ist über einer Stiftvorzeichnung in Feder und Tusche ausgeführt. Schatten, die die Plastizität der Bauglieder angeben, sind in eiligen, schrägen Parallelschraffuren angelegt. Die Zeichnung konnte so dem Prior von St. Germain-des-Prés nicht präsentiert werden. Die Rippen und Dienste der gotischen Architektur sind unsauber ausgeführt, der Grundriß der Vierungspfeiler ist nur skizziert, die schattierenden Schraffuren sind nicht konsequent angewandt. Dennoch kommt der Entwurf Bullets Vorstellungen von einer Reinzeichnung, mit der man einen Auftraggeber zufriedenstelIen konnte, recht nahe. Dies läßt sich an einem Entwurf für die Gartenfassade von Schloß Champs-sur-Marne nachweisen, an dem Bullet etwa zur gleichen Zeit arbeitete (Abb. 2).[14] Die Zeichnung für Champs-sur-Marne ist wieder mit der Feder über einer Skizze mit dem Stift ausgeführt. Parallele Schraffuren, sehr regelmäßig und doch wohl aus der freien Hand, ohne Lineal, gezeichnet,[15] setzen das Dach und die Fenster dunkel gegen die hellen Mauerflächen ab. Sie zeigen die Rundung des Mittelpavillons an und werden durch kurze schräge Strichlagen ergänzt, die die Schlagschatten an den Fenstern und an den Pavillons wiedergeben. Die Schraffuren unterscheiden also die Materialien von Dach und Mauern, spezifizieren sie aber nicht. Ob das Dach mit Schiefer oder Blei gedeckt werden soll oder ob die Mauern aus Naturstein errichtet oder verputzt werden, interessiert den Zeichner nicht. Ausgesprochen unnaturalistisch ist die Wiedergabe der Fenster als gleichmäßig dunkler Flächen. Dennoch wäre wohl niemand der Meinung, hier sei ein unfertiger Bau mit leeren Fensterhöhlen dargestellt, so sehr ist man an die Konventionen der Architekturzeichnung, als die sich das Blatt durch die orthogonale Projektion zu erkennen gibt, gewöhnt. In einem gewissen Widerspruch zur orthogonalen Projektion stehen aber die Schlagschatten. Sie verleihen dem sonst auf einem reinen Liniengefüge beruhenden Aufriß Plastizität; denn sie notieren die Vor- und Rücksprünge, die sonst nur aus einem Grundriß abzulesen wären.

Der Entwurf aus den Bâtiments du Roi (Abb. 3) sieht anders aus.[16] Es ist eine block artige Mensa abgebildet, die mit einem großen Medaillon dekoriert ist. Auf ihrem »gradin«, den Stufen auf der Rückseite, erheben sich Voluten als Träger für den Schrein des Hl. Germanus aus dem frühen 15. Jahrhundert. Jules Hardouin-Mansart ließ das Blatt von seinem Zeichner und Protégé Pierre Lepautre anfertigen.[17] Lepautre legte zuerst eine sorgfältige, sehr detaillierte Vorzeichnung mit dem Stift an. Dabei benutzte er für die langen geraden Striche an der Mensa und den Stufen ein Lineal. Anschließend gab er mit dem Pinsel einige Details und die Schatten in einer hellgrauen Lavierung an. In einem weiteren Arbeitsschritt zog er die Umrisse in unterschiedlichen Strichstärken aus der freien Hand mit der Feder nach, ließ aber, anders als Bullet, an der beleuchteten linken Seite die Vorzeichnung als endgültigen Kontur stehen. Die Zeichnung ist nicht ganz fertiggestellt. Lepautre vergaß, an der rechten Seite der Mensa das Bandelwerkornament mit der Feder nachzuziehen. Die gelbe Aquarellierung, die auf dem zugehörigen Schnitt,[18] die geplante Vergoldung des Altars markiert, fehlt hier noch. Zudem trägt das Blatt am oberen Rand die Notiz Hardouin-Mansarts (?): »me parler« - also die Aufforderung, den vorliegenden Entwurf mit ihm zu besprechen.

Ein weiteres Beispiel, jetzt ein fertiges, zur Vorlage vor Ludwig XlV. bestimmtes Blatt, soll die Unterschiede zwischen der Darstellungsweise der Bâtiments du Roi und der Bullets noch deutlicher machen. Vermutlich 1712 zeichnete Pier re Lepautre einen Schnitt durch den künftigen Salon d'Hercule und das darunter liegende Vestibül im Schloß von Versailles. (Abb. 4)[19] Lepautre hat hier auf die Konturierung mit der Feder weitgehend verzichtet. Deutlicher noch als auf seinem Altarentwurf spricht die Stiftvorzeichnung im endgültigen, farbig ausgeführten Zustand mit. Weißen, leeren Grund wie bei Bullet gibt es kaum mehr. Das aufgehende Mauerwerk im Vestibül und in den angrenzenden Räumen ist in hellgrauer Lavierung dargestellt. Die Wandgliederung und die Dekoration des Salons sind bunt aquarelliert. Es sind drei Marmorsorten vorgesehen: weißer geäderter für die Fensterlaibungen, roter für die Sockelzone und grüner für die Pilaster. Die Basen und Kapitelle, die Reliefs mit Musikinstrumenten und der Dekor des Gebälks sind gelb aquarelliert; hier ist die Vergoldung dieser Bronzearbeiten angezeigt. In einem blasseren Gelbton, als ob auf ihnen helles Sonnenlicht stünde, sind die Scheiben der Fenster ausgefüllt. Den Konventionen der Architekturzeichnung folgen die grau angelegten Schatten, die eine Lichtquelle auf der linken Seite voraussetzen, und die Ockertönung der Schnitte durch die Mauern und die Decke. Lepautre erreicht in der Wiedergabe der Proportionen und der Details dieselbe, wenn nicht eine größere Genauigkeit als Bullet. Seine Zeichnungen gewinnen durch die Lavierung und die Farben aber eine Anschaulichkeit, die Bullets Entwürfen fremd ist.

Die Darstellungsmethode ist also in den Bâtiments du Roi und im Bureau Pierre Bullets identisch. Architekturprojekte werden in orthogonalen Rissen wiedergegeben. Die Zeichentechnik aber ist verschieden. Bullet verfügt über die Schraffur als einzige Möglichkeit, Schatten und die Helligkeitswerte der Baumaterialien anzugeben. In den Bâtiments werden die Schatten in fein abstufender Lavierung in die Zeichnung eingetragen. Die Materialien dagegen sind in ihrer Buntfarbigkeit abgebildet. Farbige Zeichnungen aus den Bâtiments du Roi sind jedoch nicht naturalistisch zu nennen. Die Beleuchtung entspricht der am Bau vorgefundenen Realität nur selten, denn die Lichtquelle wird immer auf der linken Seite angenommen. Die Zeichner führen damit eine Tradition weiter, die schon die Zeitgenossen bemerkten und mit dem »bon goût« erklärten.[20] Die Materialien lassen sich aus den Zeichnungen eindeutig bestimmen. Eine rot-orangefarbene Aquarellierung kann in der Praxis der Bâtiments nur einen einzigen Werkstoff, Marmor aus dem Languedoc, meinen. Eine gelbe Färbung zeigt immer die geplante Vergoldung an. Die größere Leserlichkeit des Entwurfs für den Baubetrieb konnte einen solchen zeichnerischen Aufwand aber kaum rechtfertigen. Ohne daß die Genauigkeit und Eindeutigkeit leiden durften, wurde es zum vordringlichen Anliegen der Zeichner, den Gesamteindruck eines Projekts auf dem Papier anschaulich zu machen.

Die an den Entwürfen Bullets und Lepautres festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen die Frage berechtigt erscheinen, ob die französische Architekturtheorie bis in die Zeit um 1700 Regeln für die Zeichnung entwickelt hatte. Bei der Durchsicht der Traktate und der Sitzungsprotokolle der Académie de I' Architecture kommt man rasch zu einem negativen Ergebnis. Fragen der Projektionsmethode und der Zeichentechnik werden nur selten berührt. Sebastian Ledere z. B. gibt 1714 in seinem Traite d'architecture nur die Praxis der Architekten wieder und formuliert keine Regel, wenn er empfiehlt, Bauprojekte dem Auftraggeber in drei orthogonal projizierten Zeichnungen vorzulegen: »On fait d'ordinaire le projet d'un Bâtiment par trois Desseins, un plan qui en fait voir I' étendue, la division et le partage du terrein pour les apparternens et commoditez inferieures. Un deuxième qui en montre les étages, leurs hauteurs, et I'apparence que le tout aura par le dehors; et ce Dessein est appelé Elevation. Un troisième nommé Coupe, qui en fait voir tout le dedans: Et c'est sur ces trois Desseins que I'entrepreneur fait son Devis, par lequel il montre jusqu'où ira la dépense, et le temps qui sera necessaire pour finir l'entreprise«.[21] Die Vorlage eines Projekts in orthogonalen Rissen, wie sie Bullet und die Bâtiments praktizierten, entsprach also einer Gewohnheit, war aber nicht streng vorgeschrieben. Es gab nur wenige Lehrbücher über die Architekturzeichnung, z. B. die »Art de laver« des Ingenieurs Hubert Gautier von 1687 oder Buchottes »Regles du Dessein et du Lavis tant de I'architecture militaire que civile« von 1772. Die häufigen Neuauflagen und die Übersetzungen von Gautiers Traktat beweisen, daß durchaus Nachfrage nach solchen Lehrbüchern bestand.[22] Gautier und Buchotte wandten sich vor allem an Ingenieure, Festungsbaumeister und Kartographen. Sie gaben Anweisungen über Kürze! und die Farbverteilung nur für den militärischen Bereich, da hier jeder Irrtum ausgeschlossen werden müsse, während man in der Zivilbaukunst dem eigenen »goût« folgen dürfe.[23] Für die Architekten selbst war der Abstand von der Theorie des Dessin als dem nobilitierenden Ursprung der Künste, also auch der Architektur, zur Praxis des Zeichnens zu groß, als daß sie sich für die Aufstellung eines Regelwerks hätten interessieren können.[24]

* Katharina Krause; Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700,
Zeitschrift für Kunstgeschichte 53, 1990, S. 59-66.

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 2)

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 3)

Zu Zeichnungen französischer Architekten um 1700 (Teil 4)


[1] CharIes Le Brun: Discours prononce en I' assemblee publique de I'academie royale de peinture et de sculpture, lege jour de janvier 1672, in: Andre Fontaine: Conferences inedites de I' Academie de Peinture, Paris 1902, 41ff.
[2] Vgl. z. B.: Idee und Anspruch der Architektur, Zeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts aus dem Cooper-Hewitt Museum, New York, Köln 1979, 10f.; Winfried Nerdinger: Vom barocken Idealplan zur Axonometrie. Zeichnungen aus der Architektursammlung der Technischen Universität München, München 1985.
[3] Zum Archiv der Batiments du Roi: Danielle Gallet-Guerne: Versailles. Dessins d'architecture de la Direction generale des Batiments du Roi, Paris 1983; zum fonds de Cotte der Bibliotheque Nationale: Pierre Marcel: Inventaire des papiers manuscrits du cabinet de Robert de Cotte et de Jules-Robert de Cotte conserves a la Bibliotheque Nationale, Paris 1906.
[4] Versailles a Stockholm. Dessins du Nationalmuseum, Paris 1985, 7ff.; Oswald Siren: Nicodemus Tessin den Ys. Studieresor, Stockholm 1914.
[5] Carl Linfert: Die Grundlagen der Architekturzeichnung. Mit einem Versuch über französische Architekturzeichnungen des I8. Jahrhunderts, Kunstwissenschaftliche Forschungen I, 1931, 133-246.
[6] Antoine-Chrysostome Quatremere de Quincy: Encyclopedie methodique ou par ordre de matieres, Architecture, Bd. 2, Paris 1802, 209; vgl. auch Jacques-Francois Blondel: Cours d'architecture, Paris 1771, Bd. I, I35, Bd. 3, XXXIIff.
[7] Vgl. La Formation architecturale au dix-huitieme siecle en France. Rapport de recherche, Paris 1980, 37ff.; Jacques GuiIIerme: La figurazione in architettura, Mailand I982, 102.
[8] Vgl. Dom Jacques Bouillart: Histoire de l'abbaye royale de St. Germain-des-Prés, Paris 1724; E. Lefevre-Pontalis: Etude historique et archeologique sur l'Eglise de St. Germain-des-Prés, Congres archeologique 1919, 301- 366, bes. 310ff.; Francois Souchal: Les Slodtz, sculpteurs et decorateurs du Roi (1685-I764), Paris 1967, 501ff., Taf. 78.
[9] Frere Thjerry Ruinart, in: BN, Ms. Fr. 18817, f. 236v.
[10] Runar Strandberg: Les Projets d' Autel concus par Pierre Bullet pour St. Germain-des-Pres conserves a Stockholm, Gazette des Beaux Arts VI, 71, 1968, 33-44; zu Bullets Oeuvre auch: Erik Langenskiöld: Pierre Bullet. The Royal Architect, Stockholm 1959.
[11] Zeichnungen in BN, Est, Va. 269b, fonds de Cotte Nr. 2212-2217, z. T. aufgenommen bei Roger-Armand Weigert: Plans et vues de St. Germain-des-Pres au Cabinet des Estampes de la Bibliotheque Nationale, Memoires de la federation des societes hjstoriques et archeologiques de Paris et de l'Ile-de-France 9, 1957/58, 105-137; zur Organisation der Batiments du Roi vgl. Fiske Kimball: The Creation of the Rococo, Philadelphia 1943, 60ff.
[12] Souchal 1967 (wie Anm. 8), 501ff.; zu Oppenord auch Georges Huard: Oppenord. 1672 a 1742, in L. Dimier (Hg.): Les peintres francais au XVIIle siede, Bd. I, Paris / Brüssel 1928, 311-329.
[13] Stockholm, Nationalmuseum, CTH 8277; Strandberg 1968 (wie Anm. 10), Abb. 12.
[14] Stockholm, Nationalmuseum, CC 2250; R. Strandberg: Le Chateau de Champs, Gazette des Beaux Arts VI, 61, 1963, 81ff., Abb. 9; Bullet ließ Präsentationsrisse häufig von seinem Sohn als lavierte Federzeichnungen noch einmal ins Reine ausführen, z. B. die Projekte für die Porte Royale in la Rochelle, Langenskiöld (wie Anm. 10), Abb. I2If. und weitere Entwürfe für St. Germain-des-Pres, Strandberg 1968 (wie Anm. 10), 36ff.
[15] Zur Schönheit der mit der freien Hand gezogenen Linie in Architekrurzeichnungen und Landkarten vgl. L' Art de dessiner proprement les plans, porfils [!], Elevations Geometrales, et Perspectives, soit d'architecrure militaire ou civile ... Paris 1697 Preface (nicht paginiert).
[16] BN, Est. Va 269b, fonds de Cotte Nr. 2214.
[17] Zu Lepautre und der Händescheidung unter den Dessinateurs der Batiments: Kimball 1943 (wie Anm. II), 62ff.
[18] B, Est. Va 269b, fonds de Cotte Nr. 2217.
[19] AN, O' 1768 B 3, 1; Projets pour Versailles. Dessins des Archives Nationales, Paris 1985, Nr. 12, 35.
[20] Buchotte: Regles du Dessein et du Lavis tant de I' Architecture militaire que civile, Paris 1722, 39.
[21] Sebastien Lederc: Traite d' architecture avec des remarques et des observations tres-utiles pour les Jeunes Gens, qui veulent s' appliquer a ce bel art, Paris 1714, 3.
[22] Hubert Gautier: L'Art de laver ou nouveIIe maniere de peindre sur papier suivant le Coloris des Dessins qu'on envoye a la Cour, Lyon 1687. Die zweite französische Ausgabe erschien 1708, deutsche Übersetzungen kamen 1751 und 1764, eine italienische 1760 heraus. Buchottes Traktat wurde 1743, 1754 (zweimal) und 1755 neu aufgelegt. Außerdem ist zu nennen: Courtonne: Traite de la perspective pratique avec des remarques sur I'architecture .. ", Paris 1725.
[23] Art de dessiner 1697 (wie Anm. 15), Preface (nicht paginiert); Buchotte 1722 (wie Anm. 20), Preface (nicht paginiert); vgl. auch Georg Germann: Der farbige Architektur- Entwurf, in Festschrift A. Knoepfli, Zürich 1980, 188.
[24] Dessin ist kein Lehrgegenstand in Francois Blondel: Cours d'architecture enseigne dans l'Academie royale d'architecture, Paris 1698; über den Mangel an praktischen Regeln klagt Paul Freart de Chantelou: Journal de Voyage du Cavalier Bernin en France, Aix-en-Provence 1981, 183 (13. 9. 1665): »on dit assez les regles de I'art, mais rarement ou jamais celles de I'ouvrier«.